Notopia - grandios gescheitert
Groß waren die Hoffnungen am Anfang dieses Jahres, als SAT1 ein neues Format ankündigte. In Newtopia sollten 15 Menschen gemeinsam eine neue Gesellschaft aufbauen, fernab von den Zwängen der Zivilisation. Angefangen hat alles in einer alten Scheune, geschlafen wurde auf Stroh, zu Essen gab es kaum etwas. Aber es gab die Geburtsdaten der Teilnehmer und so bestand die Möglichkeit, die ganzen Entwicklungen und all-täglichen Aufs und Abs live mitzuverfolgen und anhand der entsprechenden Auslösungen quasi einen kostenlosen Astrologie-Kurs zu bekommen. Denn es sollten auch 4 Live-Cams rund um die Uhr für den kompletten Über- und Durchblick sorgen, was damit zum ersten Mal bei solch einem Format eben die Möglichkeit geschaffen hätte, das Verhalten unter bestimmten Auslösungen live und ungeschminkt mit zu verfolgen.
Ich zumindest war wirklich begeistert.
Dann kam die erste Sendung am 23. Februar. Und damit schon die ersten Zweifel, ob denn hier wirklich alles so laufen würde, wie beabsichtigt. Im allerersten Beitrag las sich das dann so:
Lenny (29) aus Essen ist dagegen schon das erste Opfer des neuen Formats. Nachdem er sich in der ersten Folge noch mit Löwe Hans angelegt hatte, verliess er gestern um 22:01 h Newtopia. Auf solchen Schwund muss sich SAT 1 wohl in Zukunft öfters einstellen, denn in Deutschland steht die Erstausstrahlung mit einer Sonne-Neptun Konjunktion im Quadrat zu Saturn nicht wirklich unter „einem guten Stern“.
aus Newtopia - ein Herz für Astrologen
Trotzdem überwog noch die Hoffnung, denn immerhin bot sich hier ja eine Gelegenheit, auf die man als Astro-loge ansonsten lange warten muss. Nur eben dieses Erstlings-Chart – gelinde gesagt ein Alptraum:
Sonne in Konjunktion mit Neptun – das war natürlich ein Hinweis auf mögliche Ausdrucks-Formen, die mit den negativen Eigenschaften des Fische-Archetyps konnotiert sind. Betrug, Verrat, Mauscheleien, Unklarheiten, eigentlich eher das geeignete Horoskop für den Aufbau einer Irrenanstalt, folgt man den klassischen Deutungen. Aber natürlich lag darin auch eine gewisse Chance, dass Menschen hier tiefgreifende spirituelle Erfahrungen machen könnten, jenseits von Mainstream-Esoterik- und Religions-Dogmen.Nur zeigte das Quadrat zu Saturn, dass auf solch' hohem "Einweihungsweg" viele innere und äußere Hindernisse zu überwinden wären. Aber vor allem dürfte man eins nie machen – die Wirklichkeit außen vor lassen und versuchen, hinter den Kulissen zu verfälschen, was offiziell als rein und unverfälscht angeboten wird
aus Faketopia: Neptunische Wahrheiten
Genau das geschah dann aber. Vor den Augen hunderter Live-Stream Beobachter kam eines Nachts, nachdem es wieder mal viele zwischenmenschliche Probleme unter den Kandidaten gab, eine leicht angetrunkene Redakteurin plötzlich in die Scheune spaziert. Um die Wogen ein wenig zu glätten und ein paar Tipps zu geben, wie man sich denn in den nächsten Tagen etwas „quotenkonformer“ verhalten solle.
Und ganz im Sinne dieses Quadrats zwischen Saturn und er Sonne-Neptun Konjunktion in den Fischen hatte man vergessen, die Kameras auszuschalten. Über Nacht wurde aus Newtopia, der freien Gemeinschaft, die unbeeinflusst ihren Weg gehen sollte, Faketopia. Ein abgekartetes Sendeformat, das die Redaktion anscheinend weitaus stärker kontrollierte, als bisher bekannt.
Aber eben genau das hätte der ganzen Geschichte schon wieder neues Leben einhauchen können. Denn das war natürlich ganz im Sinne des Ursprungs-Charts, die Mauscheleien ebenso wie das Auffliegen davon. Hätte die Produktionsfirma damals offen die Fehler eingestanden und sich verpflichtet, jetzt wirklich etwas Neues zu probieren, indem man den Kandidaten mehr Mitspracherecht einräumte, hätte immer noch alles gut werden können. Denn zumindest was die bisherigen astrologischen Beobachtungen anging, gab es einige Bestätigungen der klassischen Thesen:
Wie schon im ersten Beitrag angedeutet, spielt vor allem Aurica eine besondere Rolle in dem Projekt, da sie ihre astrologischen Anlagen in Teilen sehr deutlich mit den Anlagen der Sendung übereinstimmen. Vor allem ihr Mars im Steinbock wurde schon vor einigen Wochen besonders erwähnt. Und siehe da, pünktlich zum Übergang von Pluto über ihren Mars, während gleichzeitig Neptun im Quincunx zu ihrem Radix-Pluto steht (beides exakt!), muss der Notarzt gerufen werden (12.04. gegen 16:50 h). Aurica hatte, wie sich später herausstellte schon seit längerer Zeit starke Zahnschmerzen, jetzt kam noch ein eingeklemmter Rückennerv dazu.
Fazit: Am Montag wird sie erst mal unter Vollnarkose operiert (Weisheitszähne), bis dahin darf sie sich zuhause erholen und erst danach wird entschieden, ob sie wieder zurück kommt.
aus Faketopia: Neptunische Wahrheiten
Aber die Redaktion machte genau das Gegenteil. Als die Pioniere einige Wochen später den Aufstand probten und sich gegen die monatliche Nominierung von Abwahl-Kandidaten aussprachen, und sich damit zum ersten Mal von den üblichen Formatregeln lösen wollten, griff die Redaktion massiv ein.
Gegen 21:30 Uhr, als gerade der Jungfrau-Mond in Newtopia am höchsten Punkt des Himmels stand und damit seine Opposition zu Neptun noch mehr Gewicht bekam, schaltete die Produktionsleitung die Live-Streams ab. Alle.
Zu sehen gab es ab da nur noch die Kühe im Stall, und in den folgenden 33(!) Stunden durften sich alle, die für diesen Livestream bezahlt hatten, fragen, was um Himmelswillen dort in Königs Wusterhausen gerade passiert. Einige besorgte Zuschauer, die schon einen Amoklauf bestimmter Kandidaten vermuteten, alarmierten sogar die Polizei. Denn außer dem netten Bild der Kühe auf vier Live-Kameras gab es auch keinerlei weitere Informationen vom Sender. Erst am nächsten Morgen gegen 8 Uhr stand plötzlich eine halbherzige Mitteilung auf der Newtopia-Webseite, nochmal 7 Stunden später gab es eine ebenso unklare Ergänzung dazu.
Wie sich später heraus stellte, entschied die Produktion kurzerhand die „Pioniere“ wieder einmal zu "beraten" und wollte natürlich keine Zeugen dabei haben. „Man wolle ihnen eine Entscheidungshilfe geben…“, hieß es anfangs noch. Das Ergebnis heute: statt 16 Pionieren gibt es nur noch 10, der Rest hat sich im wahrsten Sinne vom Acker gemacht.
aus Kuhtopia: Die Nacht der langen Messer...
Damit war man dann wieder mal zu den alten, negativen Eigenschaften der Sonne-Neptun Konjunktion zurück gekehrt. Alles was nicht ins Konzept passt, wird vertuscht, verheimlicht oder verfälscht. Was aber anderswo durchaus ein gängiges und erfolgreiches Mittel ist und meistens auch unbemerkt funktioniert, musste bei diesen Konstellationen natürlich zum Dauerthema werden. Sowohl unter den Teilnehmern wurde reichlich intrigiert, es bildeten sich Seilschaften und Geheimbünde, und ausschweifende Lästergespräche über Dritte die nicht anwesend waren, durfte man im Livestream rund um die Uhr bewundern. Ganz wie im richtigen Leben eben.
Nur hätte die Produktion sich besser darauf beschränkt, diese menschlichen Irrungen und Wirrungen einfach zu dokumentieren, statt selbst „mitzumischen“ im neptunischen Nebelkerzenwerfen.
Als die Quoten dann trotzdem immer weiter in den Keller sackten, versuchte man schließlich noch die üblichen Aufreger und Quotenbringer (Streit, Sex und Gemeinheiten aller Art) zu forcieren, bis es tatsächlich zu handfesten Schlägereien unter den Pionieren kam.
Denn natürlich war auch das Quadrat zwischen Pluto und Uranus immer auch Dauerthema in Newtopia, zudem sorgte die Mars-Venus Konjunktion Anfang Widder zusätzlich für genügend Konflikt- und Reibungsstoff. Hätte also alles auch hochinteressant werden können, wenn man den Teilnehmer die anfangs versprochenen Freiräume auch zugestanden hätte.
Hätte, hätte Fahradkette…
Stattdessen versuchte man eine 180° Kehrtwendung als neues Newtopia zu verkaufen:
Nun sind die Kameras wieder an – und was die Zuschauer da heute zu sehen bekamen, war der nächste Schock. Die Pioniere hatten plötzlich allesamt Blumenkränze im Haar, und jeder (naja zumindest fast jeder…) konnte stundenlang dabei gefilmt werden, wie er oder sie brav Erde umgrub, Mittagessen kochte oder anderen hochwertigen Tätigkeiten nachging. Aus der bisherigen Diskussions- und Intrigantentruppe wurde quasi über Nacht eine Bio-Land-WG, die nun wohl in den nächsten Wochen und Monaten eher eine Gesellschaft aufbauen wird, wie sie vor ein paar tausend Jahren revolutionär war. Als Jäger und Sammler sesshaft wurden…
Und natürlich weiß man schon heute, dass das nicht lange gut gehen wird. Der zur Schau getragene neue Positivismus wirkt so aufgesetzt wie Candys Biberhaarschwanz und als astrologischer Beobachter darf man schon mal eine Prognose wagen: dieser eingeschlagene Weg wird kein leichter sein. Denn wenn man die bisherige Linie weiterhin konsequent verfolgt, dann darf man in Zukunft nur noch Leisetreter und angepasste Langeweiler in die große Scheune schicken. Was die ohnehin verärgerten Zuschauer natürlich entsprechend quittieren werden und den Herausforderungen eines Pluto-Transits nicht gerecht werden kann. Dann ist die Sendung schon sehr bald Geschichte.
aus Kuhtopia: Die Nacht der langen Messer...
Ja, und nun ist es dann auch soweit – am Freitag wird zum letzten Mal ein Beitrag über Newtopia gesendet werden, die Live-Cams sind schon seit Montag abgeschaltet.
Bleibt als Fazit nur die Erkenntnis, dass Astrologie auch als Indikator für bestimmte Entwicklungen bei Fernsehsendungen funktioniert. Denn eindrucksvoller hätte man die energetischen Inhalte des Erst-Sendungs-Charts kaum umsetzen können, bis hin zum unrühmlichen Ende. Aber mal abwarten, die Grundidee war und ist nicht verkehrt und womöglich wird irgendwann ein neuer Versuch gestartet, um das dann auch entsprechend umzusetzen.
Titelbild: © SAT.1/Thomas Pritschet