Newtopia: Schöne, neue Welt...
Es kommen ja immer noch erstaunte Rückfragen, warum ich diesen komischen Big Brother Verschnitt „Newtopia“ überhaupt erwähnenswert finde. Die Sendung wäre doch total langweilig, angefangen bei den Abläufen bis hin zu den Teilnehmern. Aus der Sicht eines normalen Zuschauers, der einfach nur gut unterhalten werden möchte, kann ich diese Haltung und Aussage durchaus nachvollziehen, als astrologischer Forscher allerdings nicht.
Denn wer immer sich die Mühe macht, die Grundhoroskope der Kandidaten mit ihrem Verhalten abzugleichen, wer also zumindest ab und an mal den Live-Stream von Newtopia beobachtet und die Geburtsbilder der „Pioniere“ als Hintergrund-Referenz nimmt, der wird bestens unterhalten. Und nicht nur das, im Laufe der Zeit könnte sogar eine Vertiefung und Erweiterung der eigenen Einsichten entstehen und manche Mißverständnisse und Klischees bezüglich astrologischer Inhalte ausgeräumt werden.
Bestes Beispiel hierfür ist vielleicht der „Candy-Man“, Utopias scheinbarer Dauerrevoluzzer und selbst ernannter Anarchist (Link zu seiner Selbstdarstellung auf der Pionier-Webseite). Rein äußerlich passt er bestens ins Klischee der „Alt-68er“. Lange, verfilzte Haare, läuft entweder halbnackt oder in alten Hippieklamotten durch die Gegend, pinkelt am liebsten im Freien und ist so ziemlich gegen alles, was jemand anderes oder die Situation von ihm verlangen könnte. Und jede Arbeitsverweigerung wird mit ein paar flotten Sprüchen aus dem Fundus der anti-autoritäten Kindererziehung garniert, damit auch alle verstehen, dass jeder Pups von Candy eigentlich ein politisches Statement ist.
Dummerweise ist Candy erst 1970 auf die Welt gekommen und das auch noch in der guten, alten DDR. Mit APO und freier Liebe unter freiem Himmel war also wenig bis gar nichts, teils weil die Zeit dafür schon vorbei war, als Candy aufrecht laufen konnte, teils weil in der DDR nicht wirklich eine jugendliche Hippiebewegung antrat um das System umzukrempeln. Das ist aber nicht die einzige Diskrepanz zwischen Anspruch und Verhalten bei Candy. Vielen Zuschauern stößt bitter auf, dass er einerseits permanent für sich besondere Privilegien fordert (er möchte autonom sein und nichts tun müssen, auf dass er keine Lust hat), andererseits findet man ihn bei jeder Mahlzeit mit am Tisch und er nimmt auch gerne mal einen Nachschlag oder klaut sich einfach ein paar Würstchen aus dem gemeinsamen Kühlschrank.
So weit der allgemeine Hintergrund, völlig unastrologisch. Die gute Nachricht ist – Candy hat zumindest seinen Geburtstag (11. Mai 1970) auf der neuen Webseite der Pioniere bestätigt. Mit anderen Worten – tatsächlich finden wir hier eine Stier-Sonne, zusammen mit Merkur im Stier und beides in einer weiten Konjunktion mit Saturn. Beim seinem Geburts-Mond darf man sich eigentlich relativ sicher sein, dass der schon im Löwen steht, Candys zur Schau gestelltes Selbstempfinden mitsamt dem entsprechenden Ausdruck sind da ziemlich unmißverständlich. Aber ansonsten tut man sich erst einmal schwer, die üblichen Zuordnungen in diesem speziellen Fall gelten zu lassen. „Der Stier“ an-und-für-sich soll ja nun eher konservativ veranlagt sein und ein ausgeprägtes Besitzstreben haben, während Candy das komplette Gegenteil für sich beansprucht. Es sei denn, man betrachtet sein Verhalten einmal genau aus dieser „Stier“-Perspektive.
Dann nämlich ist sein Wunsch nach Autonomie womöglich lediglich ein Ausdruck seines Besitzdenkens, denn in „Candy-Land“ gehört natürlich alles nur einem: König Candy selbst. Da muss nicht geteilt werden, da gibt es keinen Grund den eigenen Besitzstand zu minimieren, indem man auch für andere sorgt.
Andererseits – ohne den Schutz der Herde (auch schon ein „Fast-Klischee“ in Bezug auf Stier-Betonungen), geht bei ihm auch nichts. Er spricht zwar seit Wochen davon, dass er sich irgendwann bald völlig autark ernähren wird (Reis, Kartoffeln und Zwiebeln), aber das rückt immer weiter in die Zukunft, kann leider erst erfüllt werden, wenn andere Voraussetzungen gegeben sind usw. usw. Bis dahin lebt es sich dann ganz gut jeden Tag am gemeinsamen Essenstisch, den man ja eigentlich gar nicht haben möchte oder braucht.
Man wäre schon fast versucht, Candy als reine Erfindung der Produzenten abzutun, so unglaubwürdig wirkt sein ganzes Verhalten vor allem in Bezug auf die Ideale, die er vorgibt zu vertreten. Er wirkt mehr oder weniger wie eine Comic-Figur aus „Fritz the Cat“, die so ziemlich jedes Vorurteil, dass der „normale Zuschauer“ gegen Freidenker und – geister hat, bestätigt.
Ist Candy also nur ein weiterer Fake in Faketopia, bei dem nicht mal das Sternzeichen stimmt?
Mitnichten, Candy heißt auch auf seiner Facebook-Seite Candy und womöglich eifert er tatsächlich einem Ideal nach, dass eine andere Stiersonne schon seit langem verkörpert. „Öff! Öff!“ oder bürgerlich Jürgen Wagner ist ein bundesweit bekannter Totalaussteiger und Gründer der Schenker – bzw. Schenk-Bewegung. Geboren wurde Öff! Öff! am 12. (!) Mai 1964, und bei ihm findet sich neben der Stier-Sonne auch noch ein Stier-Mond, sowie ein Konjunktion von Merkur, Mars und Jupiter, ebenfalls im Stier. So unvereinbar scheint Candys Aussteiger-Wunsch also doch nicht mit dem Stierthema zu sein, wobei ihm aber seine Saturn-Anlage einen dauerhaften Strich durch die autonome Rechnung zu machen scheint.
Denn während Öff!Öff! tatsächlich lange Zeit als Waldmensch autark in der freien Natur lebte, und sich hauptsächlich von Pilzen, Pflanzen, Würmern, Schnecken und weggeworfenen Lebensmitteln ernährte, scheint Candy in seinem bisherigen Leben eher kaum auf den Luxus verzichtet zu haben, von dem er sich jetzt so öffentlich abwendet.
Bleibt immer noch die Frage: Ist Candy jetzt tatsächlich ein Seelenverwandter von Öff!Öff! und wurde von der Schenkerbewegung bewusst eingeschleust, um deren Ideale zu verbreiten? Oder ist er nur Teil eines Regiekonzepts, dass sich am Prinzip von Biotopia und Lilitopia orientieren wollte und dafür einen geeigneten Protagonisten suchte? Und zufällig über eine andere Stier-Sonne stolperte, die gerade nichts Besseres zu tun hatte, als sich dafür anwerben zu lassen?
Nebenbei bemerkt, Candy ist die einzige Stier-Sonne im Lager, reiht sich aber wunderbar in die Dominanz der fixen Sonnenzeichen ein: bei den aktuell (stand 17:00 Uhr) 15 Pionieren sind 10mal die fixen Zeichen besetzt (1mal Stier, 4mal Löwe, 2mal Skorpion und 3mal Wassermann). Vielleicht ist das eine energetische Erklärung dafür, dass in „Newtopia“ alles ziemlich schleppend vorangeht?
Zurück zu Candy – wenn Saturn und Sonne im gleichen Zeichen stehen, dann hat man mit dem eigenen Sonnen-Thema meistens ein Problem. Zumindest am Anfang der eigenen Entwicklung wird man immer wieder genau die Inhalte ablehnen, die man natürlicherweise selbst verkörpert. Und wenn man diesen Konflikt nicht wirklich innerlich löst, dann können solch seltsame Manifestationen daraus entstehen, wie man sie jetzt bei ihm „bewundern“ oder „hassen“ darf, je nach eigener Haltung und Lagerung. Für die einen ist er einfach nur ein Schmarotzer, für die anderen, der einzige, der sich nicht verbiegen lässt. Letzteres mag sogar stimmen, denn auf die Meinung anderer gibt Candy herzlich wenig und wenn man ihm kritisch zu nahe tritt, muss man sich auch auf plötzliche Wut- und Gefühlsausbrüche gefasst machen, die ziemlich heftig sein können.
Wie er zum Aussteiger wurde, und wie sehr er dafür einstehen möchte, hat er am 25. Juni 2014 dem Berliner Tagesspiegel anlässlich der Räumung einer Berliner „Favela“ an der Cuvrystraße durch die Polizei erklärt:
„Die meisten werden hier einfach gehen, ich sowieso“, sagt Candy Borrmann. Der 44-Jährige hat gerade seinen Master abgeschlossen, in „Indischer Kunstgeschichte und Südostasien-Studien“, er zückt sogar sein Abschlusszeugnis. In der Favela wohne er, weil nach der Trennung von seiner Freundin kaum Alternativen da gewesen seien.
So gesehen baut sich Candy in Newtopia nichts wirklich Neues auf (Link zu seiner Facebook-Seite). Ganz im Gegenteil, sein Umzug in den alten Wohnwagen ist nur die Neuauflage seiner Vergangenheit unter besseren Bedingungen. Fürs tägliche Wohl ist gesorgt, auch für potentielle Beziehungspartner, eigentlich eine ideale Situation. Wenn da nicht diese anderen Menschen wären, die laufend von einem Dinge erwarten, nur weil man sich von ihnen bekochen lässt. Da kommt das Prinzip „Candy lebt autark“ natürlich gerade recht, aber mit Saturn in Konjunktion zu Merkur und Sonne ist es wohl eher eine bewusst gewählte Isolation, ein notwendiger Rückzug.
Denn wie spricht es immer öfter aus dem Mann mit dem Biberschwanz?
„Ihr seid mir alle egal, die Gruppe ist mir egal und die Zuschauer sind mir auch egal…“
Das wird dann mitunter auch noch sehr viel drastischer ausgedrückt, aber macht zumindest eines deutlich – hier feiert ein Narzisst sich selbst und liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie man eine an-und-für-sich durchaus positive Grundanlage, so in ihr Gegenteil verkehren kann, dass es am Ende selbst dem Astrologen schwer fällt, noch irgendetwas Positives an so viel Egozentrik zu finden. Dafür ist aber weder der Löwe-Mond noch die Stierbetonung verantwortlich, hier zeigt sich wieder einmal, wie groß der freie Wille ist, den jeder von uns hat.
Und wer sich gerne vor den Augen einer breiten Öffentlichkeit als schmarotzender Philosoph mit schlechten Manieren outen möchte, der kann das tun. Ob nun als Stier- oder Löwe-Sonne, als Skorpion- oder Wassermann-Mond, oder als Schütze- oder Jungfrau-Merkur.
Da kennt das Universum keinerlei Fremdscham….
PS: Bei allem Forscherdrang muss man aber auch mal ernsthaft vor dem dauerhaften Betrachten des Newtopia-Live-Streams warnen. Zum einen braucht man wirklich ein dickes Fell, um all die Mißgunst, Hinterlist und Unehrlichkeit zu ertragen, die die Pioniere beim Aufbau einer neuen Welt an den Tag legen. Menschlich gesehen ist das Ganze bisher eine einzige Katastrophe und nichts für zartbesaitete Gemüter. Oder wie es Hans, ein Pionier der ersten Stunde, der heute rausgewählt wurde, seinem Mitstreiter Kalle (Bauer sucht Frau…) gegenüber gerade formulierte: „Wenn du das nicht aushältst, dann verpiss dich du Kackvogel…“
Hans hat gerade Neptun Quadrat Uranus und Sonne Opposition Saturn, lebendigere Beispiele wie man unter solchen Auslösungen völlig neben die Spur kommen kann, wird man so schnell also nirgendwo anders finden…
Titelbild: © SAT.1