Astro-Logics VII: Panta rhei
Gleich mit jedem Regengusse,
ändert sich dein holdes Tal,
Ach, und in dem selben Flusse,
Schwimmst du nicht zum zweiten Mal.
In seinem Gedicht „Dauer im Wandel“ brachte Goethe es poetisch auf den Punkt: Nichts in diesem Universum ist statisch. Außer vielleicht manche Vorstellungen, die wir in Bezug auf uns selbst und unser Leben haben. Oder Modelle, die wir entwerfen, um Leben und Welt besser verstehen zu können.
Dank Albert Einstein wissen wir heute, das Raum und Zeit nicht getrennt voneinander existieren, dass sie sich gegenseitig bedingen und der innere Hintergrund des Einen sich im Ausdruck des Anderen wieder findet. Und während sich die klassischen Wissenschaften mehr und mehr auf die Untersuchung des Raumes und all seiner Erscheinungsformen konzentriert haben, befasst sich Astrologie seit alters her mit dessen Zwillingsschwester Zeit. Als Basis dieser Untersuchungen benutzen Astrologen räumliche Koordinaten und lesen aus den Bewegungen der Himmelskörper ab, welche Farben die Zeit gerade hat oder in Zukunft haben könnte.
Dabei wird unterschieden zwischen einer „Großen“, allgemein gültigen Zeitqualität, und einer „Kleinen“, subjektiv erfahrbaren Variante. Die Große Zeit zeigt sich über die aktuellen Stände der Planeten, die „Kleine Zeit“ findet ihre Voraussetzungen zum Zeitpunkt unserer Geburt, ist quasi unsere individuelle, innere Uhr, deren Eigenheit sich anhand unseres Geburtsbildes zeigt.
In dem wir beide Zeiten über bestimmte Methoden wie Transite und andere zusammen bringen, miteinander vergleichen und daraus Schlussfolgerungen ziehen, können wir die Rhythmen und Zyklen beider Zeiten besser verstehen und unser Handeln entsprechend ausrichten.
So weit, so gut und allgemein bekannt. Allerdings hat die ganze Sache einen Haken, dann wenn wir vergessen, dass das Wesen der Zeit fließend ist.
Natürlich ist Astrologie in erster Linie ein Bezugssystem, das Orientierung geben soll und kann. Und dementsprechend ist es wichtig und notwendig, klare Ordnungssysteme zu schaffen. Dies geschieht, in dem wir bestimmten Abschnitten des Zodiak unterschiedliche Eigenschaften zu weisen, genauso wie den Planeten und Himmelskörpern und ihren Beziehungen zueinander. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, das hochkomplexe Beziehungsgeflecht der astrologischen Elemente in einigermaßen verständliche und hilfreiche Aussagen zu übersetzen. Deren Bedeutung sich nicht nur Quantenphilosophen erschließt.
Wenn wir Astrologen dabei aber vergessen, dass auch diese Bezugspunkte niemals statisch im Sinne einer Räumlichkeit bzw. einer Ausdrucksform sein können, sondern allenfalls statisch im Sinne einer zyklenhaften Zeitqualität (also einen Anfang und ein Ende haben), dann entsteht etwas, dass sich auch bei anderen Wissenschaften wieder finden lässt: die Beschreibung einer Wirklichkeit, die blutleer und eigentlich tot ist. In der sich nichts wirklich Lebendiges mehr finden lässt, das mit eigener Erfahrung in Übereinstimmung zu bringen wäre.
Nehmen wir den Zodiak als Beispiel. Seine Unterteilung in zwölf Abschnitte entspricht auch dem Wunsch, das ureigene Chaos der Schöpfung zu ordnen. Diese Ordnung ist aber niemals willkürlich entstanden, sondern das Ergebnis langer Beobachtungen. Über die Zyklenhaftigkeit des Lebens und der einzelnen Zeitphasen darin. Dieser große Zyklus hat immer einen Anfang (Widder) und ein Ende (Fische), das wiederum die Grundlage eines weiteren Neubeginns ist. Selbst hier sind die Grenzen fließend, das Ende eines Zyklus bedeutet nicht, alles ist aus und vorbei, sondern beschreibt lediglich eine vorübergehende Entwicklung, deren Erscheinungs- und Ausdrucksform sich unseren normalen Sinnen entzieht.
Deswegen bleiben die Umschreibungen dieses Lebensabschnittes, der dem astrologischen Prinzip Neptun-Fische zugeordnet ist, eher unkonkret, bedienen sich mythischer Bilder und geheimnisvoller Symbole.
Geheim meint aber hier kein Herrschaftswissen, dass nur einigen Wenigen vorbehalten ist, sondern lediglich: diese Phase des Seins kann nicht mehr mit Erklärungen und Begrifflichkeiten umschrieben werden. Aber sie kann und wird erlebt, von allem was zum Erleben fähig ist. Solange aber mein Bewusstsein nur innerhalb begrifflicher Ordnung „bewusst“ funktionieren kann, solange werden Menschen wie ich diese Phase allenfalls als eine Art endgültiger Ohnmacht erleben, als ein dunkles Nichts.
Ähnliches kann mir aber durchaus auch bezogen auf andere Lebensabschnitte passieren. Auch in anderen Bereichen gibt es individuell bedingt, „blinde“ Flecken, die es mir nicht möglich machen, den eigentlichen Kern dieser Themen wahrzunehmen. Auch dort kann sich ein neptunischer Schleier über bestimmte Erfahrungen legen, manches wird dann für mich unsichtbar und bleibt somit ein Geheimnis.
Das „neptunische“ Prinzip kann sich also auch in meinem mondhaften Krebsumfeld zeigen, oder in meinem merkurischen Denken. Die scheinbar klaren Grenzen des Zodiak sind eben wirklich nur Anfangs- und Endpunkte in einer zeitlich-bedingten Entwicklung, inhaltlich aber nicht wirklich von einander zu trennen. Es gibt keinen Mars-Widder ohne Venus-Waage, Mond-Krebs und Saturn-Steinbock. Das Marsische definiert sich quasi selbst durch seine Stellung zu den anderen Phasen, durch das Spannungsfeld zu Venus-Waage, das formgebende Quadrat zu Mond und Saturn, die Nachbarschaft zu Neptun-Fische und Venus-Stier, die Unterstützung durch Merkur-Zwilling und Uranus-Wassermann.
Aus dieser Bezogenheit entsteht dann auch der uns bekannte Ablauf, eines folgt innerhalb der Zeit auf das andere, weil es sich gegenseitig bedingt. Und folglich muss sich jede Veränderung innerhalb eines Prinzips auch sofort und unmittelbar auf alle anderen auswirken.
Ein anderes Beispiel. Das Große Trigon, auf das wir jetzt zeitlich zu steuern (...der Beitrag wurde im Mai 2013 geschrieben), beschreibt die Entstehung einer bestimmten Atmosphäre. Wenn Jupiter, Saturn und Neptun aus Erdsicht eine perfekte, harmonische Figur bilden, dann sind aber nicht nur diese Planeten direkt damit verknüpft. Allein ihre Stellungen in den Wasserzeichen Krebs, Skorpion und Fische weisen darauf hin, dass auch Mond und Pluto als Herrscher dieser Zeichen direkt betroffen sind. Durchläuft jetzt dieser veränderte Mond ein Zeichen wie den Zwilling, wird dessen neue energetische Ausrichtung zwangsweise auch auf alles Merkurische übertragen werden, zumindest in der Zeit des Übergangs. Und je tiefer wir diesen Verknüpfungen nach spüren, desto deutlicher zeigt sich, dass es kaum noch ein Prinzip gibt, das nicht in der einen oder anderen Weise (zumindest innerhalb bestimmter Zeiträume) von diesem „Großen Trigon“ betroffen ist.
Warum wir diesen Zusammenhang oft einfach übersehen, liegt zum Teil auch an unserem „Arbeitsmaterial“. Wir benutzen statische Bilder, Horoskope, die immer nur ein Schnappschuss sind. Die Fotografie eines Augenblicks, der schon lange vorbei ist, wenn wir uns gedanklich anhand dieses Bildes mit ihm beschäftigen. Zeit lässt sich nicht konservieren, es entsteht allenfalls eine Illusion. Solange dabei aber nicht vergessen wird, dass die Dynamik und die Verbundenheit des ganzen Kreises das eigentlich „Wirksame“ ist, können wir uns auch über diese „Illusion“, der Wirklichkeit auf neue und erfrischende Weise annähern.
Verliere ich mich aber in dem Glauben, dass das scheinbar Statische die wahre Beschreibung und Eigenschaft der Wirklichkeit wäre, dann beklebe ich die Welt nur mit bunten Etiketten und Aufschriften, die nichts und niemand gerecht werden können. Dann ist Pluto böse und Jupiter gut, Venus die Liebe und Mars der Hass. Dann wird Welt genauso eindimensional, als würde man sie nur noch vermessen und über Formeln und Zahlen beschreiben.
Es soll sich regen, schaffend handeln, erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar stehts Momente still. Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muss in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren will.
Johann Wolfgang von Goethe "Eins und Alles"
Solange ich also das astrologische Modell als fließend und permanent wandelbar begreife, ohne deswegen seine Grundstrukturen in Frage zu stellen, solange gibt es auch keinen Grund an ein unabwendbares Schicksal zu glauben. Wir können den Fluss der Zeit nicht ändern, aber es liegt an uns, wie er sich zeigen wird. In jedem Augenblick finden sich alle Voraussetzungen für die Entwicklung einer guten Tat, eines guten Gedankens und einer mitfühlenden Empfindung.
Und keine Macht im Universum kann mich, dich und uns jemals davon abhalten, dem Ausdruck zu verleihen.
Wer es nicht glaubt, probiert es einfach aus. Am besten jetzt sofort…
Die Loop! Serie „Astro-Logics“ richtet sich vor allem an Menschen, die sich dem Thema Astrologie auf eine neue Art und Weise nähern wollen. Aus diesem Grund werden darin unter anderem astrologische Basics erklärt, die vielen Lesern höchstwahrscheinlich schon geläufig sind. Dabei geht es aber weniger um die Wiederholung von Erklärungen, die man in jedem Standardwerk über Astrologie nachlesen kann, sondern um neue Perspektiven, Herangehensweisen und Denkanstöße.
Hier geht es zu den anderen Teilen von Astro-Logics:
Astro-Logics: Zeit und Raum
Astro-Logics II: Was ist Zeit?
Astro-Logics III: Venusjahre
Astro-Logics IV: Es leuchtet
Astro-Logics V: Woher kommt die Zeit?
Astro-Logics VI: Bilderwelten
Astro-Logics VIII: Das scharfe Schwert
Astro-Logics IX: Der Kreis und das Ganze
Titelbild (Loop!-Collage): Hintergrund - Phillip Capper [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], Uhr - Marcelo Teson [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons; Tanz: Nicolas Poussin [Public domain], via Wikimedia Commons; Knoten (bearbeitet): Nickribush [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons