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Planet der Selfies

"Conscience makes egoists of us all."
Oscar Wilde - Das Bildnis des Dorian Gray

Der Siegeszug des Selfies beweist zumindest eines deutlich: der Mensch gehört zu den höher entwickelten Tierarten. Denn wer sich selbst in seinem gespiegelten Abbild wieder erkennt, hat auch ein „Selbst-Bewusstsein“. Der darauf basierende Spiegel-Test wird oft angewendet, um bei Tieren „höhere Intelligenz“ nachzuweisen. Diesen Test hat die Schopfmakakin auf unserem Titelbild wohl eindeutig bestanden, im Zuge des Selfie-Wahns hat sie 2011 im Dschungel von Indonesien selbst den Auslöser eines (geklauten) Fotoapparats gedrückt und dabei noch freundlich gelächelt.

So wie Millionen ihrer entfernten Verwandten dies seit einiger Zeit jeden Tag tun. Und nein, es handelt sich dabei nicht um altertümliche Selbst-Portraits, der Begriff Selfie ist eine Wortschöpfung unserer Zeit, der zum ersten Mal in einem australischen Internet-Forum auftauchte. Am 13. September 2002 schrieb User Hopey eine kurze Nachricht, in der er mitteilte, daß er sich im volltrunkenen Zustand nach einem Sturz höllisch auf die Unterlippe gebissen hätte. Und fragte beiläufig, ob denn jemand ein Foto davon sehen möchte. Nachdem er es dann eingestellt hatte (siehe Link), entschuldigte er sich für die schlechte Qualität mit den Worten: „Sorry about the focus, it was as Selfie…“.

Das Chart für diesen historischen Moment zeigt dann auch gleich deutlich, worum es dabei geht. Um eine Art Weiterführung des Spiegeltests nämlich. Mond-Pluto im Schützen in Haus zehn möchte das Innerste nach Außen kehren, die eigene Großartigkeit sichtbar machen. Es ist womöglich eine Art Wiederholung der „jubilatorischen Verzückung“, die jedes Kind bei der ersten Begegnung mit sich selbst im Spiegel erfährt. Allerdings, so meint der Vater dieser Gedanken, der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan, beginnt mit dieser psychischen Geburt des Ichs auch eine Entfremdung. Deshalb ist dieses Selbst-Erkennen zugleich auch ein imaginäres Verkennen und führt zu einer Spaltung. Das Ich ist nicht mehr eins, denn es existiert jetzt zweimal, sowohl als Ideal-Ich, wie auch als ein soziales Ich.

Die Stellung von Uranus am Wassermann-AC spiegelt diese Spaltung wunderbar wieder, ebenso wie die Opposition von Neptun in Haus Zwölf (das Imaginäre) in Opposition zu Jupiter im Löwen in Haus Sechs (eine Form des idealisierten Sozial-Ichs). Die soziale Komponente des Selfies findet sich dann auch in Jungfrau-Sonne und –Mars wieder, der damit verbundene Nutzen liegt aber wohl hauptsächlich darin, dass man über die Bilder der anderen auch herrlich ablästern kann (Sonne in Haus Acht, Mond-Pluto Konjunktion, Venus im Skorpion).

Das Selfie – der Versuch einer, in den Datenwegen des Internets „Lost Generation“, sich wieder zu finden? Über die Bestätigung der globalen Netz-Gemeinde, im Sinne von: ja, du existierst wirklich, wir können dich sehen? Denn hauptsächlich wird dieses Medium von den 18- bis 35-Jährigen genutzt, der Generation also, die mit dem Internet aufgewachsen ist und für die ein Leben ohne Vernetzung kaum mehr vorstellbar ist.

Falls dem so ist, dann darf man gespannt sein, wohin sich der Trend demnächst entwickeln wird. Ansätze für durchaus bewusstseins-erweiternde Varianten gibt es ja schon heute, zum Beispiel die viralen Video-Selfies. Das sind tägliche Einzel-Aufnahmen, meist am eigenen Computer und vor ähnlichem Hintergrund gemacht, die dann nach einer gewissen Zeit zu einem einzigen Zeitraffer-Film zusammen geschnitten werden.

Jüngster Star der Szene ist der heute 19-jährige Hugo Cornellier (geb. am 22.09.1995 in London). Seit seinem 12. Lebensjahr sammelte Hugo insgesamt über 2500 Einzelbilder, anhand derer man seine Entwicklung in den letzten sieben Jahren jetzt nachvollziehen kann (LINK zum You Tube Video).

Eine atemberaubende Zeitreise, dass Hugo die notwendige Disziplin für die Erstellung des Films aufgebracht hat, mag zum einen an seinem Skorpion-Mars liegen (der im Quadrat zur Jupiter-Neptun Opposition des Selfie-Begriffs steht), aber auch an seiner Jungfrau-Sonne (die er ebenfalls mit dem Ursprungschart teilt).

Aber was immer man von all dem halten mag, etwas Gutes hat es auf jeden Fall schon gebracht – ein Novum in der Geschichte der Rechtssprechung. Denn die Makakin auf unserem Titelbild hat in gewissem Sinne die Urheberrechte ihres Foto zugesprochen bekommen, das US Copyright Office urteilte erst kürzlich, dass kein Mensch die Rechte an Bildern halten kann, die nicht von Menschen gemacht wurden.

Gleichzeitig wird damit offiziell weiten Teilen der Tierwelt bestätigt, dass sie durchaus auch in der Lage sind, Selfies zu machen. Was das in der Konsequenz, bezogen auf Intelligenz und Selbst-Bewusstsein in diesen Zeiten bedeutet, darüber kann man ruhig einmal entspannt nachdenken.

Titelbild: Copyright by Schopfmakakin, irgendwo im indonesischen Dschungel

Donnerstag, 21. November 2024

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