Astrologisches Märchen vom Sterntaler
All unseren Lesern eine wunderbare Stille Zeit - und noch mal, weil es so schön ist, das Loop! Märchen, diesmal für alle Wanderer und alle, die ihnen helfen und guten Willens sind!
In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte einmal ein kleines Mädchen, dessen Vater und Mutter gestorben waren. Ein Astrologe hatte bei seiner Geburt geweissagt, dass es mit seinem Horoskop wenig Freude hätte. Denn es kam zwar mit einem Wassermond zur Welt, aber auch mit einem harten Saturn im 2. Haus. Leicht würde das alles also wahrlich nicht werden. Aber es fiel wegen seines Jupiters vorn auch immer wieder auf die Füße, selbst wenn sie ihm den Strom für den alten Laptop abschalteten. Denn dieses Kind konnte sich die Welt zurecht träumen. Die Eltern hatten ihm nichts hinterlassen und es war jetzt so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, um darin zu wohnen und kein Bettchen mehr, um darin zu schlafen. Aber es blieb mutig und das war die Hauptsache. Zu Weihnachten im selben Jahr, als der alte Gevatter Saturn gerade mal wieder im ungünstigen Winkel zum Neptun stand und allen die Knochen so klapperten und die Mäuse auf den Tischen tobten, besaß das Mädchen gar nichts mehr.
Außer den Kleidern am Leib und einer Brotkruste in der Hand, welches ihm ein guter Mensch mit einer mitleidigen Fische-Venus geschenkt hatte. Das Kind blieb darum trotzdem vertrauensvoll und stand abends in einem Abrisshaus und sah aus dem Fenster in den Himmel, wo die Sterne Purzelbäume schlugen und Feuer-Räder sich drehten und und der gute, helle Mond ihm so freundlich zuwinkte. Auch wenn es von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott und seine Jupiter-Kräfte irgendwann hinaus ins Ungewisse. Der neue Tag war dunkel, verschneit und kalt, und die Straßen leer und nur wenige Leute liefen schnell an dem Kind vorbei. Ihm taten schon die Zehen weh und aus den Fenstern der Häuser, wo die Stiere und Jungfrauen und Steinböcke wohnten, leuchteten die Weihnachtsbäume und in den Restaurants tafelten Löwen, Widder und Schützen, die Krebse, Skorpione und Fische dichteten Geschichten von der Liebe und Zwillinge, Waagen und Wassermänner riefen, erzählten oder sangen sich Lieder von der schönen Zukunft zu.
Da begegnete dem Mädchen ein armer, alter, faltiger Mann, der Gott Saturn selbst war und es prüfen wollte. Und er sprach: "Ach bitte, ich bin so hungrig. Gib mir etwas Essen!" Da nahm das Kind sich zusammen, dachte „Himmel, was brauch ich diese alte Kruste?“, reichte dem mageren alten Kerl das letzte Stück Brot und sagte: "Gott segne‘s dir!" und ging weiter. Oben, über den Wolken, sah es den Jupiter mit dem Neptun tanzen, die funkelten und glänzten und schimmerten, dass es eine reine Freude und Begeisterung war.
Da kam ein ganz kleiner Junge des Weges, der jammerte und heulte und sprach: "Ich habe ein Mars-Problem, meinen kleinen Schädel angeschlagen und jetzt friert es mich so an meinem Kopfe! Bitte schenk mir doch ganz schnell etwas, womit ich ihn bedecken kann." Da nahm das Mädchen sein Mützchen ab, drehte es noch ein letztes Mal in der Hand und gab es dem dünnen, kleinen Kerl mit den knochigen Knien. Der sprang, wie es die Widder tun, glücklich davon. Und als es ein Stück gegangen war, kam wieder ein Kind, ein noch kleineres Mädchen als es selbst, das hatte kein Leibchen an und fror. „Du“, rief die Kleine, die ein rechtschaffener Skorpion war, „dir geht es gut, aber mir geht es sehr, sehr schlecht. Du MUSST mir helfen!“ Da gab das kleine Mädchen ihm sein Leibchen ab, und das Kind jammerte trotzdem weiter und zog seiner Wege.
Noch ein Stück entfernt, da bat eins um sein Röcklein und ein anderes um seine Strümpfe. Und der Pluto ging im Osten auf, dem Kind wurde langsam kalt und kälter, aber all das gab es auch noch hin. Die Verzweiflung konnte es ertragen, nicht aber den Gedanken, dass es schuld am Elend der anderen gewesen wäre. „Jetzt“, dachte das kleine Mädchen bei sich, „hab ich wohl bald gar nichts mehr. Das ist gut, weil ja bekanntermaßen Engel nur fliegen können, wenn sie leicht sind. Also werd ich mich wohl gleich in die Lüfte erheben und da oben mit all den funkelnden Sternen tanzen.“
Aber leider war der Gott Uranus, der für solche Flüge zuständig war, gerade nicht im Dienst, denn er musste Lametta, künstlichen Schnee und ein Video für seine Kanarienvögel zur Weihnachtsbescherung besorgen. Also lief das Kind weiter und gelangte endlich mutterseelenallein in einen Wald. Da war es stockduster, der Wind pfiff durch die Bäume und ganz von Ferne erblickte es die dünnen Lichter der Stadt. Da kam noch ein Kind aus einem Gebüsch gekrochen und bat um ein Hemdchen. Das kleine Mädchen dachte: "Die Nacht ist dunkel, da sieht mich niemand. Da kann ich wohl auch noch mein Hemd weg geben" und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.
Und wie es so allein dastand und gar nichts mehr hatte, und auch keiner mehr da war, der ihm selbst etwas hätte geben wollen oder es fragte, wie es ihm denn ginge, da begann es am Himmel auf einmal zu leuchten und zu blinken. Das Mädchen stand mitten im Wald und starrte in all das Licht, das sich mit einem Mal erhob und mehr und mehr wurde und wie ein schimmernder Saum über die Bäume fiel und den Boden erhellte wie mit tausend gleißenden Funken. Denn da rollten auf einmal alle Sterne vom Himmel und bedeckten die ganze Erde und waren lauter harte, runde, blinkende Taler geworden. Und auch wenn das Kind gerade erst sein Hemdchen weggegeben hatte, trug es plötzlich ein feines, warmes, neues Überlebens-Sweatshirt, und das war von strahlendster, weißer Wolle, die der Helligkeit überall rundherum Konkurrenz machte.
Da sammelte das kleine Mädchen all die Taler hinein, setzte die neue, dicke Kapuze auf, stapfte in die Stadt, suchte sich ein Bett bei einem Wassermann-Mond, der ihm spontan eins anbot und war reich für sein Lebtag. Es vergaß aber niemals, wie es ihm einmal gegangen war und was damals für ein Wunder passierte. Denen, die des Weges kamen und nichts hatten, gab es etwas ab. Es pflegte einsame Löwen, heiterte traurige Krebse auf, bediente erschöpfte Jungfrauen, liebte liebeskranke Waagen, verpflasterte angestoßene Widder, wenn sie wieder mal gegen eine Grenze geknallt waren, und hörte den Visionen der Schützen zu. Die Skorpione tröstete es, indem es nickte, wenn sie ihre schlimmen Erlebnisse in bunten Farben schilderten, mit den Wassermännern saß es freundschaftlich zusammen, die Fische ließ es in Ruhe, den Stieren machte es einen Imbiss und die Zwillinge lobte es für ihre tollen Ideen.
Irgendwie gab es ja immer mit jedem etwas zu teilen. Ob es nun gute Worte waren oder Kleider, eine Hühner-Suppe oder ein warmes Federbett, eine Umarmung, eine Freundlichkeit am Rande oder was immer die Menschen sonst für sich nicht allein tun können. Seit diesem Weihnachten kannte man das Kind jedenfalls als Sterntaler. Und immer, wenn man irgendwo blinkende Geldstücke sah, wusste man, dass sie einmal, ein einziges Mal, in einer Nacht, keine harten, kalten, scharfkantigen Taler gewesen waren. Sondern die leuchtenden Sterne, die nur ganz selten vom Himmel oben herunterfallen. Wenn, dann aus Liebe. Falls einer nämlich mit einem guten Herzen sich vergisst und Jupiter und Neptun ausnahmsweise gerade, in ihren lichten Träumen von der Wahrheit, irgendwo, über den Wolken, in den kalten Wintern miteinander tanzen, um dann auf die Erde herabzusteigen.
Loop! wünscht allen Lesern, Freunden, Bekannten und Unbekannten fröhliche und friedliche Weihnachten!
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