Neptun - der Tanz ums goldene Kleid
Als am Donnerstag letzter Woche Sonne und Neptun ihr jährliches Stelldichein hatten, konnte man schon vermuten, dass etwas im Busch war. Irgendetwas, dass wieder einmal aufzeigen würde, wie ungreifbar das Greifbare eigentlich ist, wie unwahrscheinlich das Wahrscheinliche oft erscheint und wie nah doch Sein und Schein beieinander liegen. Denn eine Neptun-Sonne Konjunktion in den Fischen kann im Prinzip ja thematisch kaum etwas anderes hervorbringen.
Und dementsprechend gab es einiges, das dem energetischen Hintergrund gerecht wurde. Tragisches und Schlimmes wie der Mord an Boris Nemzow auf offener Straße (Link), Außergewöhnliches und Hintersinniges zum Thema Verschleierung und Lüge im politischen Alltag als geballte Premiere in der dritten Staffel von „House of Cards“. Aber die besten Geschichten zum Thema schreibt dann doch immer noch das ganz normale Leben selbst, meistens auch im Einklang mit den Rhythmen der Zeit.
Angefangen hat diese Geschichte über Wahrheit und Wahrnehmung schon vor ca. 14 Tagen. Damals, als der Neumond auf fast genau 0° Fische stand, liefen auf der kleinen schottischen Insel Colonsay die Vorbereitungen für eine Hochzeit auf Hochtouren. Vermutlich an diesem Neumond-Donnerstag schickte die Mutter der Braut, Cecilia Bleasdale ein Foto des frisch erworbenen Kleides an ihre Tochter. Die nach einem ersten Blick etwas irritiert darüber war, daß Mama in den Farben Weiß-und-Gold zur Hochzeit erscheinen wollte. Ihr zukünftiger Gatte allerdings verstand die Aufregung nicht, denn auf dem Foto war doch eindeutig ein blau-schwarzes Kleid zu sehen.
Das Wochenende kam mitsamt der Hochzeit und die Verwirrung legte sich etwas, denn im „wirklichen“ Leben waren sich alle einig, welche Farbe das Kleid hatte. Allerdings – sobald man sich das Ursprungsfoto wieder ansah, ging die Konfusion von vorne los. Nicht nur dass einzelne Hochzeitsgäste und –freunde unterschiedliche Farben sahen und dann dabei blieben. Nein, manche die noch vor einer Viertelstunde eindeutig ein blau-schwarzes Kleid sahen, fanden sich nach einem erneuten Blick plötzlich auf der Seite der Weiß-Goldenen Betrachter wieder. Aber auch das blieb nicht als dauerhafter Eindruck bestehen.
Schließlich entschloss sich die Sängerin der Hochzeitsband das mysteriöse Foto auf dem Tumblr-Account ihrer Managerin Sarah Weichel (LINK) einzustellen. Dies geschah am Donnerstag, dem 25. Februar 2015 (USA-Ortszeit) und Eingeweihte wissen, welche Konstellation an diesem Tag exakt wurde: genau, Sonne Konjunktion Neptun. Was also unter einem Fische-Neumond, bei dem Neptun schon mit einbezogen war, begann, wurde zum Zeitpunkt der Verschmelzung von Sonne und Neptun einem breiten Publikum als Rätselfrage vorgestellt. Eine halbe Stunde später veröffentlichte BUZZFEED den Eintrag, knapp eine Woche später haben ca. 73 Millionen Menschen dieses Foto im Netz angeklickt und meistens auch kommentiert (LINK zu SPON).
73 Millionen Menschen, die meistens das Gleiche erlebt haben, wie Caitlin McNeill: anfangs war man sich sicher, dass dieses Kleid eine bestimmte Farbe hatte, kurze Zeit später sah man mit eigenen Augen, was man zuvor für eine Fehleinschätzung der anderen „Fraktion“ gehalten hatte. Und dass ist das wirklich Außergewöhnliche an diesem Bild.
Dass unsere Wahrnehmung ein komplexes Netzwerk aus Sinnes-Eindrücken und –Verarbeitungen ist, dürfte mittlerweile wohl jeder halbwegs aufgeklärte Mensch als gegeben voraussetzen. Das, was wir für wirklich und real halten, weil wir es sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen können, ist immer eine Interpretation (siehe auch Wie wirklich ist die Wirklichkeit?). Aber zumeist haken wir das als eine theoretische Erkenntnis ab, die wenig bis nichts daran ändert, dass wir die Welt und uns auf eine ganz bestimmte Art und Weise wahrnehmen. Eine Veränderung dieser Wahrnehmung kann scheinbar immer nur durch Veränderungen der wahrgenommenen Objekte entstehen, unterm Strich bleibt also die Einschätzung, dass wir unserer eigenen Wahrnehmung eigentlich doch vertrauen können. Nur manchmal schleichen sich halt „Fehler ein“, so ist das Leben eben…
Der Blick auf das Brautmutterkleid von Cecilia Bleasdale hat dementsprechend bei vielen Menschen für eine tiefer gehende Verunsicherung gesorgt. Denn wie kann es sein, dass sich der eigene Eindruck von etwas, von dem man absolut überzeugt war, innerhalb von Minuten oder gar Sekunden ändert, ohne dass das Objekt selbst irgendeine Veränderung erfährt?
Das alles sind neptunische Erfahrungen der besten Art. Die Welt mag uns in einer bestimmten Art und Weise erscheinen und wir mögen absolut überzeugt davon sein, dass dies auch „objektiv gesehen“ eine Wahrheit und Wirklichkeit hat. Aber immer wieder stellt sich heraus, dass die Verarbeitung unserer Sinneseindrücke eine sehr subjektive und hochsubtile Angelegenheit ist – winzige Kleinigkeiten spielen dabei ein große Rolle und bestimmen letztlich das Ergebnis, das innere Bild, das als Resultat „in uns“ entsteht. Die Frage, ob dieses Bild wirklich in Übereinstimmung mit dem ist, was wir wahrzunehmen glauben, kann nicht so eindeutig beantwortet werden, wie wir das gerne hätten.
So gesehen hat "#Dressgate" der Welt ein eindrucksvolles Beispiel geliefert, wie schnell sich Eindrücke ändern können. Dabei sollte man nicht den Fehler machen, dies nun als rein neptunische Angelegenheit abzutun, den Fische-Herrn quasi als Verursacher des Ganzen zu brandmarken. Nein, vielmehr wird in neptunischen Zeiten dieses Prinzip der Nicht-Eindeutigkeit im üblichen Sinne plötzlich sichtbar, kann bewusst erfasst werden. Diese Neptun-Phasen ermöglichen es uns, einen bestimmten Blick hinter die Kulissen der Wirklichkeit zu werfen, deren Struktur saturnal festgelegt ist. Ohne Neptun würde uns das Ganze wie ein unüberbrückbarer Widerspruch erscheinen, wir könnten nicht aufhören nach einer endgültigen Antwort zu suchen. Das Kleid bekommt dann doch eine Farbe und wer damit nicht konform geht, liegt eben falsch. Mit allen Konsequenzen.
Die neptunische Sicht ist dem eigenen Verstand meist nur schwer vermittelbar. Was eigentlich aufzeigen könnte, wie „eins“ die Welt und wir sind, wie verbunden und komplex alles mit allem interagiert, wird eher als Bedrohung aufgefasst, weil scheinbare Sicherheiten in Frage gestellt werden. Besser aber wäre es doch, sich die Frage zu stellen, was Sicherheiten wert sind, die einem zweiten oder dritten Blick nicht standhalten können?
Das Kleid der Lady Bleasdale ist insofern wirklich ein Ausdruck neptunischer Weisheit, zu dem noch mit dem entsprechenden Farbenspiel (weiß-golden gilt oft als der Licht- und Klarheitsaspekt des eigenen Geistes, schwarz-blau stellt seinen verborgenen-irrationalen Hintergrund dar). Natürlich stellt sich jetzt aber noch aus astrologischer Sicht die Frage, warum solch ein kollektives Mysterium nicht jedes Jahr bei einer Sonne-Neptun Konjunktion auf breitester Ebene aufscheint?
Hier mag des Rätsels Lösung in dem Umstand liegen, dass ausgerechnet in diesen Tagen die geozentrische und heliozentrische „Neptun-Schau“ eins geworden sind, um es einmal etwas blumig auszudrücken. Im Klartext: als Caitlin McNeill das Foto in die sozialen Netzwerke brachte, stand Neptun sowohl aus Sonnen- wie auch aus Erd-Sicht auf 7°16 in den Fischen. Das sind die seltenen Momente, in denen der subjektive Anschein (geozentrisch) mit dem objektiven, energetischen Sein (heliozentrisch) in völliger Übereinstimmung ist.
Und das wirkt bis heute fort, gerade dieser Vollmond, der am Donnerstag Abend um 19:05 h unserer Zeit in hellster Pracht innerlich und vieler Orts auch Außen erstrahlte, bot die wunderbare Gelegenheit, diese scheinbare Unvereinbarkeit zwischen Klarheit und Eindeutigkeit auf der einen Seite, und Offenheit und Grenzenlosigkeit auf der anderen Seite, als Irrtum zu entlarven. Denn das zu erkennen, was eine Täuschung ist, bedeutet nicht automatisch, alles in Frage zu stellen. Und wenn sich die Wirklichkeit so bunt mehrfarbig und gleichzeitig zeigt, wie im Falle des blau-schwarz-golden-weißen Kleides, dann darf man das getrost als Wink des Schicksals verstehen, auch andere Meinungen und Sichtweisen vorsichtig zu hinterfragen. Manches wird dabei vielleicht gänzlich in der dunklen Blauheit des Fische-Kontinuums verschwinden, anderes umso weiß-goldener im eigenen Bewusstsein aufleuchten.
So wie dieser Vollmond oder das mysteriöse Hochzeitskleid aus Schottland…