Die wilde Geschichte vom Geist-Mann
Eine ganz eigenartige Geschichte trug sich in den ersten kalten Tagen des letzten Winters zu, rund um Ilten und Sehnde, in Köthenwald. Alles frühe, nördliche Vorposten zur wilden See, weiter hinten, wo man sich nicht viel denkt, wenn Fuchs und Hase sich über allerlei Spuk freundlich Gute Nacht! sagen. Man hat ja Landschaft und Internet, vermisst also wenig, und stiller ist es insgesamt auch als in Berlin, Wien, Zürich oder anderswo. Vielleicht zeigte sich der noch junge Neptun in den Fischen 2012 also ausgerechnet dort, weil es in den Gegenden vor den großen Wassern der Küste so wenig Berge gibt, wo er sich verstecken könnte. Aber das bleibt - wie letztlich alles im Leben - ein großes Rätsel.
Es geschah an einem Freitag im November, als es schon dunkel war. Menschen dachten sich nichts Böses, auf der Heimfahrt vom Büro, freuten sich auf Zuhause, einen kleinen Glühwein und womöglich auch ein bisschen auf Weihnachten. Dann passierte auf der Bundesstraße 65 das Merkwürdige. Soweit wir wissen, wurde der Vorfall danach nie wirklich aufgeklärt. Aber es gibt ein Horoskop davon, weil jemand so klug war, für die Nachwelt auf die Uhr zu schauen.
Um 17.41 Uhr also schellt auf der Polizeiwache das Telefon. Der AC ist vor Kurzem in den Krebs gelaufen, hat Mond ausgelöst, der wiederum nicht lange davor ein Trigon zum noch fast jungfräulichen Neptun in seinem Heimathafen machte. Wer ist in der Leitung? Richtig - der Mond, natürlich. Eine Frau. Und weil Sonne das Haus 3, die kleinen Wege, beherrscht und nach 6, mitten in den Alltag hinein leuchtet, bringt sie ein Funktions- oder Ausflugs-Thema auf. Als Herrin 1 eine recht aktive Person - und Autofahrerin. Was sie sagt, lässt dem armen Beamten, der den Anruf entgegennimmt, aber sofort das Herz in die Hose rutschen. Oder die Haare zu Berge stehen. Sie hat gerade einen Mann überfahren. Soweit so normal, leider. Klassisches Verwicklungs-Risiko der Moderne. Nur dass diesmal in Köthenwald und Umgebung gerade Mond aufgeht und die Lady in 12 in Rätseln spricht. Denn der unbekannte Überfahrene ist danach angeblich einfach aufgestanden und verschwunden. In aller Seelenruhe. Als trüge er einen Panzer. Ein Mikro-Vorweihnachts-Wunder, überaus mysteriös, vor allem, weil er - wie sich später herausstellte - nicht nur einmal überfahren wurde.
Herrn 1 in 12 nennt die Rhythmenlehre unter anderem unverstanden. Weil Schein und Wirklichkeit in dieser Stellung verschwimmen. Als die Frau (hier Krebs-AC und Mond) versucht, sich zu erklären, macht die Situation es ihr schwer. Denn der unheimliche Mensch - den die Mars-Pluto-Konjunktion gegenüber in 7 des Radix' symbolisiert - hat, wie sie angibt, auch noch mit überkreuzten Armen auf der Straße gelegen. Als würde er auf etwas warten. Deshalb sah Mond ihn auch nicht sofort. Im Steinbock hätte man das Opfer zwar wegen der saturnischen Aura mindestens auf einem ordentlichen Felsen vermutet, aber, wie gesagt, Orte wie Köthenwald kennen keine richtigen Berge. In dem Fall wird Steinbock die Bedeutsamkeit und das Hervorgehoben-Sein eines Vorfalls bezeichnen. Rekapitulieren wir: AC und sein Herrscher zeigen, worum es bei einem Ereignis geht, was also durch das aufsteigende Zeichen in die Welt will: Krebs = Emotion, Berührung, weibliche Handelnde, Fürsorge, die aber hier durch ein Mond-Quadrat zu Uranus plötzlich unterbrochen wird. In 12, der Wohnstätte der Rätsel, des Unbewussten, aber auch der möglichen Täuschung und Fata Morgana.
War die Frau also auf Droge, wie man vermuten könnte? Aber nein. Denn im Wagen hinter ihr saß besagter anderer Fahrer, der zum zweiten langen Arm des Schicksals wurde. Und der Wort für Wort bestätigte, was vorgefallen war. Noch tragischer und unheimlicher, wie bei Jupiter in 12 üblich: Ja, er hatte tatsächlich dann den geheimnisvollen Fremden mit dem gepanzerten Mars ein zweites Mal touchiert. Da der Überrollte sich, direkt nach dem ersten Crash, quasi nicht bewegte und sich seinem Schicksal offenbar nicht nur stellte, sondern regelrecht hingab. Bevor er dann - piano, piano (Steinbock, der alles verlangsamt) - endlich aufgestanden und offenbar ohne Wunden und wie in Trance davonspaziert war. An sich schon fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Selbst die Polizei, die als Botschafter der Realität in Ausübung ihres Jobs in 6 sitzt, kann die eigentümliche Sache nicht recht fassen. Nach Wolfgang Döbereiners Dreisatz der Deuttungs-Grund-Struktur gibt die Sonne Aufschluss über Durchführung, das Setting oder Szenario eines Ereignisses. Im Schützen kann das immer mal eine fantastische Räuberpistole ( = übertriebene Geschichte) bedeuten, die jemand erzählt, um sich wichtig zu machen.
Hier aber hat sich das Erzählte - unmittelbar davor, also mit demselben Radix zu messen - in 6, dem Alltag, und der geschockten Wahrnehmung realer Zeugen abgespielt. Als etwas, was gemeinsam erlebbar war. Pluto am Mann ist zudem Herr 6, des wahrgenommen Wirklichen, und liegt beim Mars in 7, als Hindernis für Haus 1 und Mond, aus dem Steinbock. Er wird zum feindlichen, begegnungs-aggressiven "Objekt" des Geschehens und der erzählenden Fahrerin, die sich wie in einem Traum (12) vorkommt. Alles äußerst ungewöhnlich, wie es in Zeiten der Schütze-Sonne mit ihren exaltierten Phasen fast schon wieder üblich ist.
Als Herrin dieses verlockenden Märchen-Zeichens, in dem sie aber eingeschlossen ist, spiegelt sich Sonne nun auch noch eng auf Mars-Pluto - über die Achse 0°-Widder der tatsächlich erscheinenden Phänomene. Auch der Standort deutet also mit dem Zeigefinger mitten in die Realität von Mann, Unfall und Plötzlichkeit. Aber Mars ist auch Herr 11, des Hauses, wo Uranus steht und Zeichen und Wunder geschehen, die direkt vom Himmel gefallen sein könnten. Niemand, sagt die Polizei später, bezweifelt, dass der Fremde dort gelegen hat. Mit gekreuzten Armen wie ein Märtyrer (der Spiegel von Mars-Pluto sitzt im gläubigen Schützen). Eine Gestalt wie ein Mahnmal, die nach dem Aufruhr auf dem Fahrradweg (nur ohne Fahrrad) von dannen wandert, als wäre gar nichts passiert. Ohne jedes Anzeichen einer Verletzung. Wie eine Figur überschießender Fantasie. Bis 20 Uhr, als Mars-Pluto längst untergegangen ist, suchen Beamte weiter nach dem Fremden. Sogar mit einem Hubschrauber. Uranus steht am Widder-MC, als man die Fahndung endlich abbricht und aufgibt.
Mit Skorpion-Saturn als Herr 7 und zusätzlich des Überfahrenen könnte man nun vermuten, dass es sich bei dem Opfer (das ja im Steinbock sehr selbstbestimmt gezeichnet ist) um jemanden handelt, der traumatisiert war und zwanghaft eine Tragödie herbeiführen wollte. Kann sein. Mit Sonnen-Herr Jupiter in 12 ist aber in der Situation auch etwas Überweltliches, das der üblichen Wahrnehmung der Realität buchstäblich oppositionär entgegensteht.
Neptun am MC, stark in den Fischen, legt außerdem nah, dass sich das Geheimnis des Geist-Mannes im Ergebnis (Himmelsmitte beantwortet die Frage: Wo geht all das hin?) nicht wirklich aufklärt. Und wenn es das doch getan haben sollte, bleibt das Rätsel meist dominanter als die Erklärung und malt einen Mythos.
Ein Vorrecht von Neptun prominent. Die feinsten Erscheinungen verflüchtigen sich lieber diffus, bevor sie festgenagelt werden. In Spukhäusern ebenso wie alle Märchen, die einst aus kleinen Neben-Schauplätzen des Lebens entstanden. In diesem Fall, um Köthenwald herum, müsste Uranus sich wieder blicken lassen und alles aufklären. Da er ja nicht nur im Quadrat zum Vorgang AC, sondern auch zum Fremden steht. Tatsächlich suchte der nach dem astrologischen Drehbuch von Haus 11 das Weite - und zwar selbständig (Widder). Wurde er aufgefunden? Soweit wir wissen, nicht. Also wurde gemunkelt. Dass der Überfahrene ein Patient des benachbarten Klinikums Wahrendorff gewesen sein könnte, sagten die einen. Aber das erklärt nicht seine anscheinende Unverwundbarkeit (Chiron-Sextil). Es wäre ein Geist gewesen, sagten die anderen.
Dreht man das Horoskop und macht Haus 7 zu 1, um etwas über seine Erscheinung zu erfahren, rutscht der Herrscher von Mars-Pluto, Saturn, nach 11 des Mannes. Der sonst so stabile Zeitgenosse mutiert dort in die Trennung, wird splitternd, flüchtig, ein unruhiger Geist, im Skorpion in jede Richtung transformierbar. Das Stück Wirklichkeit eben, was im Puzzle fehlt. Wie alle rätselhaften Erscheinungen zwischen Himmel und Erde ein kleiner Mythos. Die Realität als Vereinbarung über die Wahrheit aller Dinge (Sonne in 6) sein Traum. Wo wären wir, wenn wir ohne ihn lebten? Und gerade darum: Manchmal wird Wirklichkeit zur Illusion und Illusion zur Wirklichkeit. Die Grenzen flüssig und unüberschaubar. Speziell bei Ereignissen mit Herrn 1 in 12.
Seid achtsam, wo ihr euch zur Ruhe legt! Für alle verlorenen Seelen in Köthenwald, Berlin, Wien, Zürich, London und anderswo deshalb schon jetzt: Besonders frohe Weihnachten!
Bilder: William Blake (1757‑1827) The Ghost of a Flea + Popperipopp (Own work) [Public domain] via Wikimedia Commons