Tränen und der schamlose Finger
Was ist los mit Steinbrück?
Da war er also, dieser demonstrative Mittelfinger. Einmal die Geste der Diebe in Rom. Ein Gegenmittel, um Hermes-Statuen auszuhebeln, die als Merkur-Schutz der Reichen vorm Verlust des Eigentums aufgestellt wurden. Wenn nun ausgerechnet der eher spröde Peer Steinbrück den Journalisten den Digitus Impudicus, seinen schamlosen Finger, zeigt, ist ziemlich sicher, dass er merkurische Einflüsse gerade noch schlechter verarbeitet als sonst.
Und siehe da, der Mann hat im Radix einerseits eine stabil-saturnische Denk-Software, die meist etwas länger braucht, um seine Kopf-Prozesse in die versuchte Bedeutung zu bringen. Und andererseits diesen hoch sensiblen Merkur-Neptun zum Quadrat, einen Aspekt von entweder Wahrnehmungs-Verschiebungen oder aber Öffnung des Geistes für's Namenlose, Unbenennbare. Und genau dieses Gespür für's Feinsinnige steht jetzt eben unter engen Transiten. Die schon ganz andere umgehauen haben.
Vielleicht kann man wirklich nur noch Gesten machen, wenn einem zu Häme und Spott, die Medien ausgießen, seit man den Ruhestand aufgeschoben hat, um Kanzler zu werden, verbal rein gar nichts mehr einfällt. Steinbrücks Merkur-Konstellation ist zur Zeit schwerst betroffen von der allgemeinen, mundanen Heuschrecken-Plage - Uranus-Pluto. Beinah wird es selbst Astrologen zuviel, diese Anspannung in nahezu allen Horoskopen derjenigen hoch aktiv vorzufinden, die momentan Schlagzeilen machen. Keiner, der auf sich hält, kommt ohne aus. Bei Steinbrück führte seine verdeckte Sensibilität im Juni erst zu einem mühsam verhinderten Tränen-Ausbruch auf dem SPD-Parteikonvent, als seine Frau Gertrud (selbst mit Merkur-Uranus im Krebs, Quadrat Neptun) sich rebellisch für ihn einsetzte. Wonach er später mit dem inzwischen berühmten Stinkefinger ausglich, auf dem Magazin-Cover der SÜDDEUTSCHEN, beim "Interview ohne Worte". Der Mann lebt in Ambivalenzen, solange Uranus-Pluto, auch das "Konzept Selbstbefreiung", über seinen Merkur tanzt. Wobei das Radix schon Anlass genug zu bieten hätte, mit den Kreidekreisen des Daseins Hamsterrad zu spielen.
Hilfreich wäre tatsächlich Steinbrücks Geburtszeit, um solche polarisierenden Aktionen astrologisch noch besser einschätzen zu können. Selbst eine Anfrage beim Parteivorstand nach Steinbrücks Geburtszeit bringt jedoch nur zutage, dass offenbar auch andere Astrologen interessiert sind, aber: "Die Geburtszeit von Peer Steinbrück ist uns leider nicht bekannt," schreibt der Pressereferent. Stimmt, leider. Denn mit etwas astrologischem Gespür wären für die meisten Kandidaten, die jetzt mit dem großen, grauen Bundestags-Wal ins öffentliche Bewusstsein tauchen, Ausfälle zu vermeiden. Wenn denn mal ein emotionales Loch oder Bedürfnis mit ihnen durchgeht.
Bei Peer Steinbrück war es im Juni zum Konvent womöglich der Deszendent, der den laufenden Transit auslöste, dazu Neptun, der möglicherweise auch noch als Unterlage zu Uranus-Pluto in Opposition zu Jungfrau-Mond läuft und Jupiter Opposition Lilith (Abwertung), der ihm den Fokus auf die vielen kleinen Entwertungen und Sündenbock-Funktionen ausrichtete, die ihm während der letzten Monate vom Journalismus zugeschoben wurden. Und dann kommt die optionale Kanzler-Gattin Gertrud daher, eine Lehrerin, und macht den Kosmos des Gefühls-Peer plötzlich auf. Es war ein Moment der Wahrheit, den man da unvermittelt hinter der Maske und Marke Steinbrück sah. Kein Saturn mehr für alle Fälle, sondern ein Mensch, zutiefst verletzt von all den Fallen, die einem ein öffentliches Dasein stellt - ringend um Fassung (Saturn), während Krebs-Venus und Merkur mundan die Schleusen des Empfindens öffneten.
Die plötzliche Weichherzigkeit, die Sensibilität des Neptunischen, die da hinter Steinbrück, dem Steinbock, und seinen persönlichen Mauern aufschien, in dieser Minute, ist sicher seinem Merkur geschuldet. Als selbst die taffe Bettina Böttinger mit Merkur-Venus in den Zwillingen ganz kurz ins Schwimmen geriet und Krebs-Sonne auspackte, wurde klar: In die Schlagbohrmaschine von Pluto und Uranus mundan erschöpfend eingekrallt, wird die Klarheit und Organisation des Steinbrück'schen Denkens weich.
Denn Neptun bringt eine Kompensation ins Geburtsbild mit, die Unmenschlichkeit und reinen Formal-Strukturismus im Saturnischen immer wieder unterläuft. Jedenfalls dann, wenn Saturn auch noch gerade im Quadrat zu sich selbst steht, wie im Sommer der Fall. Das ist für sich kein Fehler, sondern ein Geschenk, wenn man denn damit entsprechend umgeht.
Aber das tut er nicht. Wenn er zu cool und aggressiv wird, riecht die Öffentlichkeit zu oft den Braten und macht ihm den nötigen Neptun, indem sie Steinbrücks deutliche, überscharfen Aktionen (in denen Mars mit ihm durchgeht) immer wieder unterspült und ihn wahlweise als degeneriert dümmlich oder diffus schlaff oder halbseiden im inneren Schlagwetter stehenlässt. Ein wenig Empfindsamkeit am rechten Ort, die Übernahme all seiner eigenen Merkur-Qualitäten also, würde das verhindern. Was man selbst nimmt, kann das Außen sich sparen. Aber über den Konflikt in sich selbst hinweggehen, das kann das Quadrat nicht einfach so.
Dass nach einem von Steinbrücks ungewöhnlichen Gefühls-Abstürzen in den Weichspül-Modus - wie den schwimmenden Augen beim Konvent - dann für die Formalismen des Saturn ein Ausgleich her muss, ist eigentlich Standard für einen Politiker wie ihn. Denn auch das macht ja diesen Peer aus: Er gibt sich gern als knallharten Kämpfer, mit Mars auf dieser knochentrockenen Sonne erhöht. Nur dass beim Grund-Zeichen Steinbock die Mühlen immer etwas langsamer mahlen als bei anderen Stellungen und der Ärger darüber, als angelegt "Großer" (Saturn beherrscht auch die Hierarchien) wie ein ganz kleiner Junge behandelt zu werden, nur Stück für Stück und manchmal verspätet und dafür länger anhaltend an den Tag kommt. So zeigt er ihnen eben den Stinkefinger, als er ohne Worte bedeuten soll, was er Spitznamen wie Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi entgegenzusetzen hat. Auch nicht unfeiner als der ewige Regen von üblen Bezeichnungen. Eine einfache Sache. Sonne Konjunktion Mars im kristallklaren Steinbock. Man soll ihn sogar darauf hingewiesen haben, dass das brisant sein kann. Peer Steinbrück, der Steinbock, meinte trotzig: Nein, so will ich das.
Kein politisches Kalkül, sondern ein persönliches, das zeigen soll, wer man auch noch ist. Nach Herabwürdigungen, nach Versuchen, an den Tag zu bringen, dass aus so jemandem - bei allem Wunsch nach Mehrheiten - doch kein windschnittiger Charakter zu biegen ist, nach den heruntergeschluckten Tränen. Wer weiß, dass Steinbrück in der Pubertät und gerade in den oft gewechselten Schulen damals eine besonders böse Zeit durchzustehen hatte, kann sich ausmalen, woran ihn das Gemobbe und Gestalke der Medien, die einfach nicht aufhören, einen erst in die Kurve zu hieven und dann wieder auszuhebeln, vielleicht erinnert hat. Steinbock-Sonne-Mars ist ein Querkopf. Er wird dafür nicht unbedingt von den Massen geliebt. Das verlangt er auch gar nicht. Aber wenn so einer sich in den Dickschädel gesetzt hat, Kanzler werden zu wollen, dann müssen andere mit seinen Ecken und Kanten eben auch leben. Genau wie er selbst. Vermutlich ist die Zeit noch nicht wirklich reif für einen Kanzler Steinbrück, wenn man seine Transite so anschaut. Vermutlich ist er immer eine Nasenlänge dahinter, wenn die Zeit dann bereit wäre. Und vermutlich ist das Fechten und Beweise und Kochen jetzt seine letzte Chance. Aber ihn allein, weil seine Nase einem nicht passt, als Symbol des krachend Saturnischen aus der Geschichte lässig wegzuschreiben, das muss sich so einer, von dessen Sorte es nur noch wenige gibt, beileibe dann auch nicht kampflos gefallen lassen.
Bilder: Süddeutsche + Screenshot Youtube