Ein Debütant auf der Bühne der Welt
"Vielleicht ist die Hoffnung die letzte Weisheit der Narren." (Siegfried Lenz, Uranus auf Fische-Sonne).
Und vielleicht konnte das so nur ein Fisch mit Uranus auf Sonne schreiben, einer, der sich als spröde maskierte und doch von den Blitzen des Namenlosen immer wieder getroffen wurde. Siegfried Lenz, ein großer, stiller Angler der Worte in einer längst vergangenen Gegenwart (richtige Fische fing er übrigens auch ), ist tot. Der leise Roman-Autor (mit prominentem Jupiter auf Venus im Wassermann), Novellist, Erzähler, Liebhaber von schottischem Tabak, prägte damals, nach dem Krieg, in dem er als 17jähriger zur Marine musste (alles Neptun), auch Bewusstsein und Gewissen der deutschen Literatur. Einer, der mit Merkur-Pluto (Widder-Krebs), bohrend und manchmal auch verbohrt, zum verpflichtenden Muss-Autor aufstieg, über Jahrzehnte. Dem plutonisch orientierten Denken treu, ging es seinem Stoff um Macht und Kunst, um Polizei und Überwachungs-Menschen und -Staaten, große und kleine Fluchten.
"Sie haben mir eine Strafarbeit gegeben." Der erste Satz seiner Deutschstunde, Pflichtlektüre für Millionen Gymnasiasten. Und Bild für diesen Aufpasser-Merkur im Quadrat zu Pluto, der eine Welt der Kontrolle feststellt. Überhaupt lebte in seinen Romanen plakativ Lenz' Horoskop (auch ohne Geburtszeit). Auf den ersten Blick erinnert man sich an Peter Scholl-Latour, der auch vor Kurzem starb (Artikel DER GROSSE REISENDE), ebenfalls Schreiber, Erzähler, Weltenwandler mit Sonne-Uranus in den Fischen. Beide zwischen Noch-Nicht und Nie-Wieder, der Zeitlosigkeit des Neptunischen und Uranus' Begnadungen angesiedelt, vor der Uhr und nach der Uhr überlebend, in ihren Worten. Beide waren sie Journalisten, aber Lenz schrieb sich aus der Aktualität literarisch heraus. "Auf der Bühne der Welt sind wir alle Debütanten", sagte er einmal, ein großes Fische-Thema, das zum Widder, dem Impuls zur Welt, überleitet. Der wiederum die Versammlung der Dinge, die wir Leben nennen, immer ganz jung. frisch, neu, auf der ersten Stufe des Werdens, anschaut. Ins Zeitliche geworfen, den Traumsand des Neptun noch in den Augen, verloren im Zeitenstrom, Beobachter.
Siegfried Lenz erstes Buch hieß: Es waren Habichte in der Luft, womit er sich 1951 frei schrieb, nach Volontariat und Redaktion bei der "Welt". Das war, als Uranus und Neptun ins Quadrat und Opposition zu diesem kämpferischen Merkur (mit Pluto-Anhang) liefen. Da waren sie schon, die uranischen Vögel der Politik, der Ideologien, auch des Ausgleichs von Gegensätzen, wo Autor seinen Stoff im Leben trifft und neu ins Dasein einwebt. In seinem Chart, in dem die Freiheit des Uranus sich in den Fischen tarnen kann und der Vogel zum Greif wird, als Pluto stark eingebunden, oder sich durch Saturn im Skorpion in Gezwungenen, Bezwungenen, in seinen Charakteren stellvertretend wiederfindet. Lenz starb kurz vorm dritten Saturn-Return, als sein Saturn-Neptun-Quadrat, der Crash von Pädagogik und Normierung vor der großen Welle von Mystik, Schall und Rauch, aktiviert ist. Wie auch der Bruch, der Merkur-Pluto, über das akute Quadrat von Uranus-Pluto.
Der alte Herr des Skorpion, sein Mars im Steinbock, und dieser Saturn haben in seinem Radix eine Rezeption (rechts, Mittags-Stände), wie jetzt wieder Saturn-Pluto. Und so marschieren sie durch Lenz' Bücher, Reihen von Bestimmern, die Lehrer und Aufpasser und vielleicht auch der eigene Vater, der Zollbeamter war und eine Nützlichkeits-Offensive in den Fische-Sohn hineingedacht haben muss. Bevor er früh starb und Mutter und Schwester dann auch noch gingen, weg von Lyck in Ostpreußen. Da blieb der Junge allein bei der Großmutter - eine Geschichte, die an Nessus erinnert (hier sterben manchmal bei persönlichen Bezügen Elternteile früh, siehe Artikel DER DAIMON + DAS SEELENLIED). Und siehe da - auch bei Siegfried Lenz steht Nessus am Merkur und schlägt einen Bogen zum Chiron, unweit.
Das Mars-Prinzip vom Chiron-Quadrat verletzt und verletzbar. Auf der Suche nach und gleichzeitig in der Ablehnung von Strukturen, Bossy-Attitüden, Verregelung. Denn sein Stier-Mond wollte ja auch Sicherheit. Fische flüchten, weil Fische keine Grenze haben, und so blieben Flucht und Abkehr auch sein zweites, großes Thema. Wie die Tarnung, Lenz als ungreifbarer, freundlicher Schatten, ein Mann, der keine Kontur hat, aber selbst stark konturiert. Auch dies eine Schatten-Spiegelung zwischen Stier und Wassermann, seine Spaltung. Da, wo das Trennende durch den Stoff in die Welt kommt und der Vogelflug dann für die Himmel und später die Auflösung im Nichts frei macht. Alle Substanz, alle Menschen, jeden Körper.
Joswig selbst hat mich in mein festes Zimmer gebracht, hat die Gitter vor dem Fenster beklopft, den Strohsack massiert, hat sodann, unser Lieblingswärter, meinen metallenen Schrank durchforscht und mein altes Versteck hinter dem Spiegel. (Siegfried Lenz, Deutschstunde)
All das steckt schon drin, in seinen Stoffen, seinem Leben, nur nie an der Oberfläche. Hinter der Sprödigkeit, den Konzepten des Pluto und der Härte Saturns sind die Spiegel des Neptun. Manch einer hat - gerade wegen der Ungreifbarkeit, des Gleitens der beinharten Moral (Venus steht ja überrollend mit Jupiter) gestöhnt, wenn er diesen Lenz in der Schule lesen musste. Zum Kulturgut, zum Kult, zur Verpflichtung (Ja, der Steinbock! Der Skorpion!) aufgestiegen. Weil das, was er schrieb, neben dem politischen Fragen und Trennen und Rebellieren dieser freien, großen Venus mit Jupiter dennoch manchmal so spröde, papierdünn und irgendwie verloren schien. Man konnte das nicht recht fassen, wie oft bei den Fische-Sonnen. Es gab andere, die einen wirklich übergreifend neptunisch mitnahmen. Nur dieser hier geistelte, konstruierte. Und das gut, beeindruckend, aber zuweilen ermüdend, nicht ganz bei sich. Sein Sonnen-Herr Neptun stand ja im Löwen verwässernd, als Nichts auf dem Selbst, dem Herzen einer ganzen entselbsteten Generation.
Statt den Mythos des Unendlichen, Ungesagten, der letzten Rätsel strömen zu lassen, wie er es vielleicht gekonnt hätte, trug dieser Lenz, so kam es einem vor, immer noch eine Tarnkappe, wie es die Fische tun. Legte sich stattdessen auf den Uranus mit seinen geistigen Rebellionen im Überblick paradoxerweise fest. Ging in die mentalen, unverbindlicheren Flüge des Schöpferischen, indem er es, das Sein, von dem man sich losmacht und Leben anders neu beginnt, letztlich nur be-schrieb. Und damit sich selbst. Einen mit Haltungen.
Nicht aus der darunterliegenden Sehnsucht der Fische nach dem Heiligen, sondern in Uranus' Aufruhr über die Zwänge der plutonischen, gefesselten und fesselnden Welt. Über die Wassermann sich erhebt, indem er aus der Zeit fällt. Oder mitten in die Provokation hinein. Als anders, hervorgehoben, wurde er schnell erkannt. Vielleicht wusste niemand so recht, warum. Der große Chronist einer baufälligen Zeit, nachdem die Greifer der Nazis untergegangen waren und die Ziele gleich mit, die einen hielten. Saturnisch war er, blieb Lenz doch, mit diesem Mars, der so oft bei Erzählern (als Neptuns ewig langer Arm in Zeit und Raum) die Bilder bewegt. Auch wenn er anders konnte und mit der Intensität seiner Empfindung (wie viele der Pluto-Krebs-Generation) in So zärtlich war Suleyken der Heimat Masuren ein Denkmal setzte. Durchlässig wie Neptun ist und rätselhaft allumfassend, alles durchwirkend groß, las sich das aber nie. Nur klug, weise, behutsam, erdiger als anderes aus den Fischen. Gestorben ist Siegfried Lenz unter Saturn Quadrat zu diesem Neptun, seinem Sonnen-Herrn. Man hört, dass kürzlich erst 80 Gedichte von ihm gefunden wurden. Wohl geschrieben nach dem großen Krieg, damals, als Saturn auf seinem Neptun und Neptun in Opposition zum Merkur stand.
So oder so war er ein Großer, mit zig wichtigen Preisen. Auch so zeigt sich der Saturn. Aber dennoch kein Nahtloser, auch wenn der Hamburger Ehrenbürger als leise und friedlich galt. Vielleicht hat der immer tief ins Ungelebte, ins Versteckte eingebundene Fisch da, in seinen Gedichten, seine Hingabe an die Netze des Unendlichen doch noch entdeckt, gewollt, und ihnen Worte gegeben. Sein letztes Buch hieß Die Maske, womit der Neptun sich wieder eine Chiffre suchte und fand. Ob man einen fließenderen Siegfried Lenz nun doch noch einmal anders liest, nach seinem Tod, ist so ungewiss wie jeder neptunische Ausgang. Vielleicht in diesen poetischen Bildern. Aber keiner weiß, ob die Lyrik je veröffentlicht wird. Oder ob er, der klirrend scharfe Uraniker über der dimensionslosen, strömenden Wahrheit seines Standortes, das gar nicht gewollt hätte. Dass man ihn in seiner Tiefe, Seele, doch noch, danach, anders und größer und feierlicher und freier von den Strafen, die er so scharf sah und fürchtete und wegschrieb, erkennt.
Bilder (bearbeitet): Bundesarchiv, B 145 Bild-F030757-0016 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)] + Giorgio Vasari [Public domain], both via Wikimedia Commons