Das astrologische Paradigma
Neben der praktischen Arbeit mit der Astrologie gibt es natürlich theoretische Ansätze, ihre Basics, "Wirkungen" und Zugänge tiefgehend zu beschreiben - mit einem wissenschaftlich forschenden Ansatz. Einer der vernetzenden Denker unter den Astrologen ist RICHARD VETTER, Autor und Psychologe aus Offenburg. Mit der Unterzeile "Eine Skizze der Grundannahmen und Implikationen" hat er sich ausführlich mit dem Boden beschäftigt, auf dem sich Astrologie bewegt. Loop! veröffentlicht seine Gedanken dazu hier als Crosspost von seiner Seite astroInfo:
Der Begriff "Paradigma" wurde von den Wissenschaftshistorikern Thomas Kuhn und Paul Feyerabend in den Sechzigern eingeführt. Gemeint ist damit ein den Rahmen einer Normalwissenschaft prägendes Forschungsprogramm, ein wissenschaftliches Denkmuster oder Schema, welches eine ganze Epoche bzw. Generationen von Lehrenden und Forschenden in ihrer Tätigkeit anleitet. Das jeweilige Paradigma gibt die Prämissen vor, es stellt die Grundkonzeption dar für die Arbeit des Einzel-Wissenschaftlers - die Maßgaben, mit denen er die untersuchten Fragen und erhaltenen Antworten seines Fachgebiets in ein Welt-Bild einordnet. Es ist sozusagen die Brille, mit der er auf den Gegenstand blickt; es liefert ihm die im Umgang mit der Realität erforderlichen Wahrnehmungs- und Denkkategorien.
Ein allseits akzeptiertes Paradigma treibt die Forschung stets voran; allerdings ist sie in ihren Ergebnissen durch das Vorstellbare, durch das grundsätzlich für möglich Gehaltene aber auch begrenzt. Treten die Fehler und Schwächen (Anomalien) eines Paradigmas deutlicher zutage - wie historisch beispielsweise durch neue Entdeckungen mithilfe des Fernrohrs - kommt es in der Regel zur Krise und schließlich zu einer geistigen Revolution, zum sogenannten Paradigmenwechsel.
Am bekanntesten sind in dieser Hinsicht die Umwälzung vom Ptolemäischen zum Kopernikanischen System sowie von der Newtonschen Mechanik zur modernen Quantenphysik. In seinen Grundannahmen ist ein Paradigma einem anderen nicht vergleichbar; sie sind inkommensurabel, da auf fundamental unterschiedlichen Prinzipien, auf divergierenden Wahrnehmungs-Weisen bzw. "Sprachen" beruhend. Sie verstehen einander nicht, selbst wenn sie dieselben Worte oder Symbole benutzen. Jedes Paradigma zeichnet sich aus durch eine spezifische Begriffsbildung und Methodologie, durch eigene Theorien und Beobachtungen sowie den dafür nötigen instrumentellen Apparaturen (welche die jeweils bestätigenden "Fakten" produzieren).
Aus der Sicht des einen Paradigmas sind die Ergebnisse des anderen prinzipiell falsch - da auf vermeintlich irrigen Voraussetzungen basierend. "Beweisen" lassen sich die wechselseitigen Anschuldigungen (etwa die der heutigen Astronomie an die Astrologie) nie - mangels objektiver Kriterien für die von beiden Seiten bemühte "Wahrheit". Jedes Paradigma hat seine ihm eigene Logik und Vernünftigkeit, ist in sich schlüssig und plausibel - auch wenn es die Welt und ihre Phänomene völlig unterschiedlich beschreibt und erklärt. Das astrologische Modell stellt zweifelsohne ein solch eigenständiges Paradigma dar. Zwar haben sich in ihrer Jahrtausende alten Geschichte die Auffassungen von der Sternenkunde durchaus gewandelt, wurden ihre Inhalte mit dem Zeitgeist verschoben bzw. weiterentwickelt. Bestimmte Axiome sind jedoch geblieben.
Diese Pfeiler der Astrologie sind: das Analogieprinzip oder Entsprechungsgesetz, die Vorstellung von einer Qualität der Zeit, das (geometrische) Konzept einer Qualität der Zahl.
Das Analogieprinzip hat die Astrologie mit allen zeichendeutenden (divinatorischen) Methoden gemeinsam. Ihre Symbole sind metaphorisch; sie besitzen einen Gleichnischarakter, setzen eine Parallelität zwischen Himmel und Erde voraus. Mikrokosmos und Makrokosmos, Innen und Außen entsprechen demgemäß einander, besitzen eine innere Gleichartigkeit, eine Verwandtschaft auf der Sinn- oder Bedeutungsebene.
Dabei ist die Art und Weise der "Ähnlichkeit" zwischen oben und unten, die Realisationsebene bzw. der faktische Manifestationsbereich einer Konstellation nicht festgelegt. Die Natur zeigt sich hier ausgesprochen erfinderisch, schöpferisch und vielgestaltig - jedoch stets konsistent mit der aktuellen Himmelskonfiguration bzw. im Einklang mit dem zugrunde liegenden Symbolbild. Die Konkretisierung einer Analogie dingfest machen, sie gar detailliert und exakt vorhersagen oder überprüfen zu wollen, erweist sich als ziemlich fruchtloses Unterfangen - der Kosmos ist pfiffiger als unser Verstand im Finden und Neugebären von Entsprechungen.
Über die Frage der "Verursachung" schweigt sich das Entsprechungsgesetz ebenfalls aus; es handelt nicht von eindeutig feststellbaren (himmlischen) Ursachen und (irdischen) Wirkungen. Es ist vielmehr deskriptiver Natur, beschreibt differenziert das jeweilige Kräftegefüge, die Beziehungen und Verbindungen zwischen den diversen existierenden Energien. (Wichtiger und sinniger als der Versuch, Analogien analytisch auf die Schliche zu kommen, ist deshalb das Bemühen, die innere Bedeutung einer Konstellation zu fassen und zu benennen.) Warum jemand oder etwas auf die kosmischen Verhältnisse "reagiert", wurde und wird gern mit den naturphilosophischen Begriffen "Affinität" oder "Resonanz" erklärt. Die - der pythagoräischen Tradition verpflichtete - mittelalterliche Theorie der Sphärenharmonie meinte, dass die Saiten der Seele "mitschwingen", wenn die entsprechenden der planetaren Harfe gezupft würden.
Moderner formuliert, besagt etwa das Resonanzgesetz Dethlefsens, dass mir stets nur das geschieht, wofür ich eine Bereitschaft (Rezeptivität) in mir trage, wofür ich eine innere Anziehungskraft besitze. (D.h. demnach verhält sich die "Verursachung" umgekehrt wie gemeinhin angenommen, geht nicht von den "Sternen" aus, sondern vom Unbewussten bzw. Selbst). Das Analogieprinzip ist älter als die Astrologie, jedenfalls älter (und wichtiger) als deren Bezugnahme auf astronomische Daten. Denn wie T. Schäfer aufzeigte, bedurfte das älteste uns bekannte Horoskop (das mesopotamische Leberhoroskop) keiner Sterne und ihrer Beobachtung - wohl aber eines ausgeklügelten, komplexen Korrespondenzsystems.
Die Qualität der Zeit ist die zweite tragende Säule des astrologischen Denkgebäudes. Auf diesem Prinzip beruhen praktisch alle Orakelmethoden (wie etwa das I Ging). Die Zeit wird hierbei nicht aufgefasst als leeres, gleichgültiges Gefäß bzw. als nur vorbeifließendes, tickendes "Etwas", sondern als bedeutungsschwanger, als eine Art transzendentes, unbegrenztes Reservoir, gefüllt mit sämtlichen möglichen Inhalten - von denen sich in jedem Augenblick ein neuer und anderer "gebiert" oder aktualisiert. In qualitativer Sicht lässt sich die Zeit gleichsetzen mit dem absoluten Sein, mit dem nicht-manifesten Ewigen - dessen im Jenseits konzentrierten Substrate oder Samenkörner sich auf der diesseitigen, quantitativen Zeitachse gewissermaßen auffalten, um so sichtbar und (be-)greifbar zu werden.
Der Kreis und der Rhythmus
Dabei offenbaren sich dem seherischen Auge bestimmte Kreisläufe und Rhythmen, eine regelmäßige Wiederkehr desselben, wenn auch nicht in gleicher Gestalt (und zwar vergrößert oder verkleinert, s. Transite und Direktionsmethoden). Auf der abstrakten Prinzipien- oder Bedeutungsebene ist der Gehalt eines Moments stets klar, eindeutig und festgelegt; in seiner physischen Realisation kann er jedoch (qua Analogie) die unterschiedlichsten Formen annehmen.
"Synchronizität" nannte C.G. Jung die akausale Verbindung gleichzeitiger Geschehnisse. Personen und Dinge (oder Planetenzyklen), die vordergründig scheinbar nichts miteinander zu tun haben, können sehr wohl zusammenhängen - und zwar via einer inneren, sinngemäßen Übereinstimmung oder Koinzidenz. Wann und wo etwas geschieht, ist nicht beliebig oder zufällig, sondern abhängig von (für das Alltagsbewusstsein) verborgenen Abläufen und Prozessen; wofür die Zeit "reif" ist, suchen wir mittels des "okkulten" astrologischen Codes gerade zu entschlüsseln.
Der Geburtsmoment gilt deshalb als so entscheidend, weil er den Eintritt eines Wesens in die irdische Existenz markiert. Die Signatur des Geburtshoroskops umschreibt keimhaft die Anlagen bzw. Qualitäten des Geborenen; wie ein Weinjahrgang trägt er die Färbung, das Typische oder Charakteristische jenes Augenblickes in sich - und gestaltet das dem Zeitpunkt des ersten Atemschreis Eigentümliche im nachfolgenden Leben aus. "Im Anfang liegt alles beschlossen" lautet die zugehörige hermetische Vorstellung; es ist dies ein uroborisches Konzept (der sich in den Schwanz beißenden Schlange) - wobei Beginn, Verlauf und Ergebnis einer Entwicklung untrennbar verbunden sind. (s. Anmerkung (1))
Die Qualität der Zahl ist das dritte Grundaxiom. Zwar spielen numerisch Quantitatives (sprich mengenhafte Aufzählungen bzw. Rechenprozeduren für Ephemeriden und Computerprogramme) als Basis der Interpretation in der Astrologie durchaus eine Rolle. Doch gelten - wiederum in pythagoräischer Tradition - Zahlen vor allem als Essenzen, Bedeutungsträger. Wie in der Numerologie steht die "Eins" für das Eine, Runde, Ganze, und wird demgemäß der Sonne bzw. dem Aspekt der Konjunktion zugeordnet. Die "Zwei" symbolisiert das Getrennte, Gespaltene, Hin- und Herschwankende, was Eigenheiten des Mondes und der Opposition sind, usw. Noch zu Beginn der Neuzeit war ein solch qualitatives Verständnis der Zahlen gängig - weshalb "Mathematiker" auch als Synonym galt für den Beruf des Astrologen.
Die differenzierte Geometrie ist der Punkt, worin sich die Sternenkunde vor allen anderen mantischen Systemen auszeichnet und unterscheidet. Mit den beobachteten Verhältnissen am Firmament hat die astrologische Konzeption dabei nur bedingt zu tun - sie ist vielmehr typisiert, stilisiert, eben ein abstraktes Modell. So werden alle Himmelskörper auf die Ekliptik bezogen (ohne Berücksichtigung der Deklination oder Breite), und diese ihrerseits nicht als Ellipse, sondern in der nach Plato vollkommenen Kreisform dargestellt. Kriterien wie Proportion und Symmetrie sind ausschlaggebend im astrologischen Denksystem. (Um eine sublime geometrische und harmonikale Erklärung der astrologischen Aspekte - inkl. Halbsextil, Quinkunx, Quintil, Oktil und Trioktil - machte sich besonders Kepler verdient.) Aus ästhetischen, theoretischen Gründen teilte man das Ganze der Jahresbahn in zwölf ideale (nicht reale) Tierkreiszeichen zu exakt dreißig Grad; ähnlich verfuhr man mit der Tagesbewegung, die in zwölf Häuser (á zwei Stunden) untergliedert wurde. Diese Zwölfersysteme setzen sich zusammen aus jeweils "Drei mal Vier" - wobei die "Vier" für grundlegende Ordnungskategorien (die Quadranten und Elemente) steht, während die "Drei" Dynamiken kennzeichnet: kardinal-fix-labil, aber auch den Döbereinerschen Entwicklungsdreischritt.
Wenn ein Astrologieschüler schlicht die Elemente auszählt oder die Planetenverteilung im Horoskop dualistisch nach links-rechts, oben-unten, in ihrer Gewichtung hinsichtlich positiv-negativ, aktiv oder passiv unterscheidet, dann stecken darin schon die Anfänge der astrologischen Geometrie und - da gekoppelt an inhaltliche Aussagen - auch die Anfänge der Interpretationskunst.
Wie bereits angedeutet, steht die Astrologie in großer Nähe bzw. Verwandtschaft zu den diversen Systemen der Esoterik. Speziell Alchemie und Kabbalah verwenden ähnliche Symbole - und berufen sich ebenfalls auf den mythischen Hermes Trismegistos mit seinem Satz "wie oben, so unten". Doch ist dies für den Historiker nicht weiter verwunderlich - gelangte doch der Astralkult gemeinsam mit der Gnosis, als Teil des Synkretismus, von Vorderasien nach Europa. Die Leistung der Hellenen war, das Sternenorakel entscheidend zu systematisieren - mantisch, d.h. letztlich auf Sinndeutung/ Auslegung beruhend, blieb es jedoch nach wie vor. (Bei einer näheren Untersuchung des Sternglaubens kann man nicht umhin, ausführlich die Tradition zu würdigen; wer sich seiner Herkunft bewusst ist, weiß aber andererseits, wo er steht - und wo er hinzugehen hat).
Zugrunde liegt diesen philosophischen Ansätzen die Vorstellung eines unus mundus bzw. der unio magica, der magischen Einheitswirklichkeit - die Idee, dass alle Dinge der Schöpfung auf geheimnisvolle Weise miteinander verknüpft seien. An diesem verschwommenen, traumhaften (um nicht zu sagen primitiven), fast kindlich zu nennenden Bild, ist mehr dran als es scheint. Denn nur mit solch archaischem Konzept lässt sich erklären, warum die astrologischen Gesetze überhaupt funktionieren. Der astrologische Wirkmechanismus muss stattfinden auf einer Ebene, wo Körper, Seele und Geist noch eins, wo Materie und Energie/ Bewusstsein, Person und Schicksal, Innen und Außen noch undifferenziert sind. Psychologisch gesprochen, handelt es sich dabei um eine tief (kollektiv) unbewusste, spiegelhafte bzw. projektiv-magische Seinsebene - wo wie bei Bastian in Phantasien (s. Michael Ende, Die Unendliche Geschichte) all das geschieht, was wir uns jeweils (mehr oder weniger bewusst) wünschen...
Schicksalhaftes war bekanntermaßen auch stets Teil der Astrologie. Das Horoskop weist per Definition nicht nur auf Anlagen und Charakter, sondern ebenso auf damit verbundene existenzielle Gegebenheiten ("Person = Schicksal" lautet dazu die griffige Kurzformel). Dabei ist ein solcherweise verstandenes Schicksal nichts dem Horoskopeigner Fremdes, und keineswegs etwas von vorneherein Festgelegtes oder gar Fatalistisches - sondern kann durchaus selbstbestimmt, positiv, konstruktiv bzw. entwicklungsverheißend aufgefasst werden!
Die Sterne: Wohnstätten von Göttern und Engeln
Astrologie war auch zu allen Zeiten mit Glaube und Religion verwoben; die Sternenlehre war stets eingebettet in eine übernatürliche Kosmologie. So wurden Fixsterne und Planeten als Wohnstätten von Göttern oder Engeln gesehen, bzw. sogar mit diesen gleichgesetzt. In allen außereuropäischen Kulturen ist die Astrologie bis heute Teil des religiösen Weltverständnisses. Es gab und gibt eine indianische, taoistische, hinduistische, islamische - und nicht zuletzt christliche Astrologie. Der Mithraismus - ein konkurrierender Verwandter des Christentums, von dem u.a. der Weihnachtsfeiertag übernommen wurde - war eine regelrechte Astralreligion. Große Kirchenlehrer (wie T. von Aquin), Bischöfe und selbst Päpste waren Astrologen oder hielten sich welche; ganz zu schweigen von Luthers sternenfürchtigem Mitstreiter Melanchthon. Die kirchliche Ikonographie zeigte gerne Christus als Herrscher inmitten des Tierkreises - ein Ausdruck der geistigen Versöhnung mit dem Heidentum (wie sie am glänzendsten dem Florentiner Ficino gelang). Ähnlich galten die Stufen der mittelalterlichen Gesellschaftshierarchie als analoges Abbild der obwaltenden himmlischen Ordnung. (Die damaligen Verhältnisse mag man als bedenkliche geistige und materielle Versklavung empfinden - doch fühlten sich die Menschen immerhin in ihrem Kosmos geborgen, nicht so wurzellos wie viele heutzutage).
Das astrologische Modell fügt sich nahtlos ein in den Glauben an etwas Höheres, den Glauben an ein jenseitiges, die Dinge und Abläufe lenkendes Wesen oder Sein. In der Beschäftigung mit astrologischen Phänomenen drängt sich der Glaube an "höhere Zusammenhänge" geradezu auf - denn wer oder was könnte die frappierende, einen immer wieder sprachlos machende Ordnung am Himmel und auf Erden sonst gestiftet haben? Das umfassende, in seinen komplexen Verflechtungen nicht kalkulierbare, wunderbare Zusammenspiel von Personen, Ereignissen und Schicksal kann eigtl. nur von einer uns unbegreiflichen Stelle koordiniert sein.
Werte bzw. Werthaftes ist dem astrologischen Paradigma ebenfalls immanent - impliziert schon durch die hervorgehobene Position des Qualitativen in den Kernannahmen. In einem runden System kann es eh keine (die Ganzheit des Lebens ignorierenden) Einseitigkeiten geben, ist in jeder Aussage der Gegenpol - und somit über das Vordergründige Hinausweisendes, sprich Sinnhaftes - mit enthalten. Im pragmatischen astrologischen Alltagsgeschäft sind Bewertungen allgegenwärtig: so gelten etwa Aspekte oder Transite - gemessen am Gesamtbild - stets als mehr oder weniger "günstig". Die Beratungspraxis zielt gerade darauf ab, das gemäß der aktuellen Zeit und ihrer Inhalte Geeignetste festzustellen, das für den Horoskopeigner "Beste" herauszuholen.
Schließlich können die Konstellationen oder Analogien von diesem durchaus unterschiedlich umgesetzt werden: auf einer "höheren" oder "niedrigeren" Ebene, mehr oder weniger unbewusst bzw. gefangen oder "erlöst"...
Dabei ist die Richtung hin zu den höheren Realisationsstufen durch das in unserem kollektiven Unbewussten verankerte Bild der Jakobsleiter bzw. durch die neoplatonischen Analogieketten quasi vorgegeben. Zusätzlich hat die christliche Eschatologie (Überwindungs- oder Heilslehre) bzw.die Psychologie des Kreuzes zumindest für die abendländische Astrologie Sinn und Zweck gerade der schwierigen Lebenserfahrungen und Geschehnisse betont. In der modernen Psychologischen Astrologie lautet daher die vermittelte Perspektive, die mehr oder weniger versteckte Aufforderung einer Beratung: mach dich auf zu mehr Bewusstheit, Ganzheit bzw. Integration der Gegenpole, zur Entfaltung deiner individuellen Potentiale!
Schon in der Antike war die Astrologie die weithin akzeptierteste Charakterkunde (ausgehend von der Elementen- oder Säftelehre), noch mehr im späten Mittelalter - das etwa die Eigenheiten Saturns mit dem Gemütszustand der Melancholie identifizierte.
Paracelsus bezeichnete die Seele als "Astralkörper", in welchem die Planeten psychische Organe darstellten (vergleichbar den indischen Chakren), bzw. wo sie wie im Psychodrama als innerseelische Figuren in einem komplexen Wechselspiel agierten.
An solche Konzepte knüpfen in neuerer Zeit die Jungianische Tiefenpsychologie und die Bewegung der Humanistischen Psychologie (u.a. die Gestalttherapie) an. Im Unterschied zu manch anderen Psychologien gilt der Mensch hier als explizit wachstums- oder entwicklungsfähig, und die Individuation (Selbstwerdung, Selbstverwirklichung) als höchster Wert bzw. Ziel der inneren Prozesse.
Die Symbole der Astrologie gleichen den Inhalten des Unbewussten: sie sind - in modernen Augen - ähnlich "irrational", schillernd, vage, offen und vieldeutig. Jungs aus Mythologien und Träumen destillierte Definition der Archetypen lässt sich sogar ohne weiteres auf die Planeten und Tierkreiszeichen übertragen. Diese sind wie jene Urbilder, welche überpersönlich bzw. numinos erfahren werden (gerade im Falle der Transsaturnier). Auch die astrologischen Urprinzipien können begriffen werden als unspezifische Muster oder Schemata des Erlebens und Verhaltens bzw. als Ordnungsfaktoren oder -kategorien des kollektiven Geistes (s. Spranger). Nicht zuletzt lässt sich das Horoskop sehen als Sinnbild des Selbst, d.h. der ganzen, vollständigen Persönlichkeit: die üblicherweise zur Illustration der kosmischen Verhältnisse herangezogene Grafik stellt ein klassisches Mandala dar, enthält die sog. "Quadratur des Kreises" (setzt sich zusammen aus Quadranten und der Kreisform) - ein Bild, das aus jungianischer Sicht die Möglichkeit einer Synthese der divergierenden Persönlichkeitsaspekte auf höherer Ebene verspricht...
Der astrologischen Praxis verwandt sind auch die Forschungsmethoden oder Erkenntniswege dieser neueren Psychologie: denn gearbeitet wird durchweg mit qualitativen Methoden (in der Regel mit Einzelfallanalysen). Und, nicht zu vergessen, spielt bei Therapeuten wie Astrologen die Intuition eine ähnlich wichtige Rolle.
Astrologie und die Musik des Radix
Bei allen Geisteswissenschaften dreht es sich zuvorderst um das Einzigartige, Besondere, Individuelle - welches erstmal nicht allgemeingültigen Gesetzen unterworfen wird. Zugleich bedarf jede geisteswissenschaftliche Untersuchung der persönlichen Betroffenheit, der inneren Beteiligung (Anteilnahme) des Forschers an seinem Gegenstand. Bei den Methoden der Phänomenologie, Hermeneutik und auch Astrologie geht es um ein Verstehen oder Einfühlen in das Wesentliche, um das Herausschälen von Sinnstrukturen bzw. um ein Wiederfinden des Ich im Du. Ein distanziertes, "steriles" Verhältnis zum Untersuchungsobjekt ist hier inadäquat; kein Wissen und Erkennen ist unabhängig vom eigenen Realisieren oder Erfahren. Der Geisteswissenschaftler wird im Verlaufe des Forschungsprozesses unweigerlich persönlich tangiert (gerade auch in seinen schwachen, wunden Punkten) - er muss sich sogar innerlich berühren lassen, will er in seinem Verständnis der Dinge vorankommen!
In diesem Sinne ist die Astrologie auch eher eine Kunst denn eine (Natur-)Wissenschaft. Das Horoskop wäre einem Musikstück, einer Partitur oder einem Porträt vergleichbar - weniger einer trockenen biochemischen Formel oder Analyse. Schließlich muss die astrologische Symbolik interpretiert werden, bedarf sie der aktiven, bewussten Durchdringung und Formulierung ihres Gehalts durch den "Sternenkünstler".
Grundsätzlich ist jede Symboldeutung subjektiv - geprägt nicht nur von der Person des Astrologen, sondern auch von der Situation, dem Setting bzw. der Interaktion mit dem Horoskopeigner. Da sich die Zeitqualität stetig wandelt, Analogien sich zudem auf die verschiedenste Weise realisieren können, ist auch die jeweils gefundene "Wahrheit" an unterschiedlichen Punkten von Zeit und Raum anders, lassen sich astrologische Erkenntnisse nur bedingt generalisieren (auf andere Fälle übertragen).
Will man in einem Deutungsprozess zu irgendeiner Objektivität oder überpersönlichen Wahrheit vordringen, muss - gemäß den paradigmatischen Setzungen - stets erstmal beim Individuellen, Subjektiven bzw. bei den Fakten der Lebensgeschichte angesetzt werden.
Aber "alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" (Goethe). In der astrologischen Forschung wie Interpretationskunst geht es gerade darum, die hinter dem Vordergründigen/ Geschilderten liegenden urtypischen Muster und Strukturen wahrzunehmen. Während einer Deutung wird im - assoziativen, zugleich aber analogiegeleiteten - Kreisen um ein spezielles Thema oder Problem dessen Essenz sukzessive deutlicher. Im suchenden Hin- und Herwechseln zwischen der Meta- und der Konkretisationsebene wird das allzu Subjektive überwunden, erschließt sich allmählich doch eine "objektive", transzendente, universelle Wahrheit des fraglichen Punktes - kommt es zur sog. "Evidenz". Der Horoskopeigner fühlt sich dann von der Deutung getroffen, verstanden, unterstützt und erkannt, weil an das "Höhere", weil in ihm an Schicksal und Sinn gerührt, seine individuelle Thematik in einen umfassenden, größeren, archetypischen Zusammenhang gestellt wird.
Mit Naturwissenschaft hat diese Konzeption natürlich nichts gemein. Als Paradigmen sind Natur- und Geisteswissenschaften einander diametral bzw. unversöhnlich; sie können sich nur mit großem Unverständnis und kritischer Skepsis begegnen. Es herrschen völlig andere Vorstellungen von Objektivität und Wahrheit; sich gegenseitig zu testen - nach dem Motto "wer hat recht" - sollten sie bei solch differierenden Standpunkten jedenfalls besser unterlassen.
...weil der Mensch kein Stein ist
Die Naturwissenschaft muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit ihren quantitativen Mess- und Prüfmethoden ganzheitliche Zusammenhänge bloß ausschnitthaft zu fassen vermag, lebendige Organismen und zyklische Prozesse wie starre, tote Gegenstände behandelt. Ihre Standardmethode des allzeit verfüg- und wiederholbaren Experiments muss versagen bei Phänomenen, die einmalig und individuell bzw. gar mit einer qualitativen Auffassung der Zeit und Zahl verwoben sind.
Auch Untersuchungen via Fragebögen scheiden aus zur Überprüfung der Astrologie. Denn die astrologischen Symbole verhalten sich nicht linear und eindimensional wie physikalische Merkmalslisten, vielmehr komplex und interaktiv. Zudem gehorchen sie nicht der klassischen Logik, enthalten stets auch den jeweiligen Gegenpol bzw. zumindest Widersprüchliches in sich, können aktiv oder passiv, psychisch oder physisch gelebt werden - ohne dass dabei die symbolimmanente Konsequenz bzw. die Entsprechung zum zugrunde liegenden Schema oder Urprinzip verloren geht!
Aufgrund ihres explizit quantitativen Zahlenverständnisses sind Statistiken besonders ungegeignet zur Überprüfung des astrologischen Wahrheitsgehalts. Mit ihrem zentralen Axiom der Zufallsverteilung setzt Statistik kosmologisch ein ungeordnetes, sinnleeres bzw. darwinistisches Universum voraus; eine Finalität (Zielgerichtetheit) kann es ontologisch in dieser Welt der Wahrscheinlichkeiten gar nicht geben. Hinzu kommt, dass in erhobenen Datenmengen die Einzeldaten beliebig sind (je größer die Datenzahl); Einzigartigkeiten werden gnadenlos nivelliert - was man dann euphemistisch "Neutralisierung" oder "Anonymisierung" nennt. Fakt ist, dass bei statistischen Tests einmalige, unverwechselbare Ereignisse und Gegebenheiten - welche aus astrologischer Perspektive die Welt eigtl. ausmachen - unter den Tisch fallen.
Das naturwissenschaftliche Paradigma erhielt in den letzten Jahrzehnten zusehends Risse. Gerade seine Speerspitze, der Wegbereiter der technischen Annehmlichkeiten, die Paradedisziplin Physik musste Federn lassen. Sie stieß an die Grenzen von Zeit und Raum - überwand dadurch jedoch ihre engen kausal-mechanistischen Kategorien. So lässt sich etwa in bestimmten quantenphysikalischen Experimenten die strenge Trennung von Subjekt (Versuchsleiter bzw. -situation) und Objekt (Untersuchungsgegenstand) nicht länger aufrechterhalten. Dadurch gewinnt aber das unsere Vorstellungen in den letzten Jahrhunderten prägende Paradigma neue Dimensionen, erschließt sich wieder Raum für die uralten Konzepte von Geist und Psyche - die sich ja aus den Humanwissenschaften, selbst wenn naturwissenschaftlich orientiert wie etwa die Apparatemedizin, nie ganz verbannen ließen.
Nicht umsonst ist deshalb das Wort vom Paradigmenwechsel in aller Munde. Seit Kuhns Schriften hat der Begriff allerdings populärwissenschaftlich eine Bedeutungserweiterung und -verschiebung erfahren. Er wurde überstrapaziert bzw. überdimensioniert, nicht mehr nur auf Einzelwissenschaften/ spezifische Disziplinen begrenzt, sondern - tendenziell ideologisch überfrachtet - gleichgesetzt mit einem Wandel unseres abendländischen, naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes generell. "Der Paradigmenwechsel" gilt mittlerweile als Synonym bzw. Schlagwort für das Anbrechen des New Age oder Wassermannzeitalters, für eine Überwindung des egoistisch-materialistischen und technologischen Denkens. Verbunden mit dieser Hippie-Idee einer universellen, spirituellen Revolution sind noch Erwartungen hinsichtlich weitreichender politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen...
Ein Aufblühen der Astrologie dürfte solch umfassenden geistigen Wandel (so er denn kommt) sicherlich begleiten und unterstützen. Eine aktive Rolle vermag die Sternenkunde aber nur zu spielen, wenn sie sich ihrer Grundsätze bewusst wird - und sich nicht unwissentlich (oder gar opportunistisch) dem vermeintlich modernen, jedoch grundsätzlich inkompatiblen Paradigma der Quantitäten und Kausalitäten unterwirft. Denkt man nämlich konsequent im Rahmen der eigenen ganzheitlichen Voraussetzungen (von Analogien und Qualitäten), darf etwa von keinem "astrologischen Faktor" (neben Erbe, Umwelt, etc.) gesprochen werden, ergeben physikalische Messungen der Planetenstrahlen sowieso keinen Sinn.
Der Schlüssel für eine neuerliche Aufwertung der Astrologie liegt jedoch in der akademischen Psychologie. Diese hat lt. Kuhn noch gar kein eigenes Paradigma ausgebildet, noch keinen internen Konsens über ein breites, allgemein akzeptiertes Forschungsprogramm erzielt. Um sich selbst zu finden, müsste sie sich zuvorderst von ihren extensiven statistischen Tests verabschieden bzw.sich von ihrem Minderwertigkeitskomplex den Naturwissenschaften gegenüber befreien. Zudem sollte sie endlich Theorien wie die Archetypenlehre und Konzepte wie die "Projektion" (das Aus-sich-herausstellen der inneren Bilder) anerkennen bzw. näher untersuchen, sich den magischen Aspekten der Seele sowie deren spiritueller Dimension nicht länger verschließen. (Dass man seinen Gegenstand - die "Seele" - nicht einmal zu definieren vermag, spricht eigtl. Bände!)
Solcher Fortschritt der Psychologie dürfte den Weg bahnen für ein besseres Verständnis, eine gesellschaftliche Akzeptanz auch der Astrologie.
Anmerkung (1) Bei der Vorstellung, dass der Beginn/ Geburtsmoment einer Sache bzw. Person diese in Gänze, auch in ihren Entwicklungsschritten charakterisiert, handelt es sich eigtl. um ein viertes, ebenfalls der Esoterik entlehntes Grund-Axiom der Astrologie.
Den Original-Artikel und weitere Hintergründe zur tiefgehenden Arbeit mit der Astrologie finden Sie auf Richard Vetters Seite astroInfo
Bilder: Wikimedia Commons + British Library